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Zu solcher Zeit ruht ein unbeschreiblicher Zauber
in den alten Gassen der ewigen Stadt. Während
tiefe Schatten die eine Seite der Straße in Nacht
einhüllen, erglänzen die gegenüberliegenden Häuser
in magischem Lichte, welches verklärend das alte
Gemäuer umspielt, und je weiter man wandert, bis
man sich endlich in der riesigen Trümmerwelt des
Forum Romanum befindet, desto überwältigender
wird der Eindruck, und die Stille der Nacht bringt
die ganze großartige Szene zn mächtiger Wirkung.
Vorüber führt mein Weg an der Fontana Trevi,
der Meisterschöpfung Berninis, von der die hübsche
Sage geht, daß, wer einmal aus ihr getrunken,
immer wieder nach Rom zurückkehren müsse. Weiter
hin erinnern aneinander geschobene zweiräderige
Karren und zertretenes Stroh an die jetzige prosaische
Bestimmung des klassischen Ortes, er ist heute
— ich schrieb dies vor über vierzig Jahren —
zum Viehhos — campo vaccino, herabgesunken.
Zu meiner Rechten zeichnet sich scharf und klar
das Kapitol auf dem tiefblauen Nachthimmel ab,
und matt schimmert im Moudlicht die grandiose
Reiterstatue des Mark Aurel. Und nun noch
wenige Schritte und man steht vor der ungeheuern
Arena, deren massiges Steingefüge vielen Jahr
hunderten getrotzt und kaum an Umfang verloren
zu haben scheint, wenn spätere Geschlechter aus ihm
das Material zur Erbauung ganzer Straßen ge
nommen haben.
Nahezu zweitausend Jahre sind über den Riesen
bau dahingegangen, er hat den Glanz der Jm-
peratorenzeit gesehen, wenn ein ungeheures seidnes
Zelt ihn überspannte, um die Kampsspiele vor der
Glut der Sonne zu schützen, er sah den Verfall
des mächtigen Reiches, als die antike Welt in
Trümmer sank unter dem ehernen Tritte nordischer
Barbaren, er sah die ersten todesmutigen Bekenner
des neuen Glaubens von wilden Tieren zerrissen,
genau an der Stelle, wo heute das siegreiche Symbol
des Christentums, das Kreuz, ausgerichtet ist. —
Wo wäre in der Welt eine Stätte, die mehr zu
ernsten wehmütigen Betrachtungen anregt, wo giebt
es ein Geschichtsbuch wie dieses!
Langsam stieg ich die Stufen hinauf, um von
der Höhe einen Blick in die von silbernem Tust
eingehüllte Campagna zu werfen, nichts regte sich
in dem weiten Amphitheater, nur hin und wieder
schwirrte eine Fledermaus an mir vorbei. Ta
plötzlich gewahrte ich, daß ich doch nicht der einzige
nächtliche Besucher war; aus dem Sitze über mir
gewahrte ich eine in einen Mantel gehüllte Gestalt,
den breitkrämpigen Hut tief in das Gesicht gedrückt,
sitzen. Ich wollte vorübergehen, als ich mich bei
meinem Namen angerufen hörte und zu meiner
Verwunderung meinen Schweden erkannte. Er
reichte mir die Hand, um mich beim Erklimmen
der steilen Stufen zn unterstützen, und bat mich,
neben ihm Platz zn nehmen. Ich drückte ihm meine
Freude aus, daß die Befürchtung, er sei krank,
grundlos gewesen.
„Ich war", sagte er, „mit einer Arbeit beschäftigt,
die keine Störung vertrug, und hatte mich, um ganz
allein zu sein, in Albano eingemietet, wohin um
diese Zeit kein Mensch kommt."
Ich knüpfte an unsern im Künstlerverein ver
lebten Abend an und fragte, warum er so rasch
verschwunden sei.
„Es hatte mich", antwortete er, „überhaupt Mühe
gekostet, hinzugehen, aber ich wollte einmal versuchen
mir selbst zu entrinnen. Ich bin ein unstüter
Geist, den es nirgends lange leidet, ich suche die
Einsamkeit und nichts ist leichter zu finden. Mein
ungeselliges Wesen wird Ihnen längst bekannt sein."
„Bis jetzt", erwiderte ich, „hatte ich noch nie
Gelegenheit, etwas über Sie zu hören, ich war
dem Zufall dankbar, der mir Ihre Bekanntschaft
gab, und hatte den Wunsch, es möchte eine dauernde
sein, — den muß ich uach dem Gehörten nun wohl
unterdrücken."
„Nein, nein," unterbrach er mich, „Sie miß
verstehen mich, so war es nicht gemeint. Ich bin
kein Menschenfeind, aber ich fliehe die Gesellschaft,
weil ich ihr nichts zu bieten habe. Wie oft schon
habe ich stundenlang hier gesessen. Stunden, die
mir wie Minuten dahinschwanden. Stunden, in
denen Jahrtausende von Geschichte an meinem
innern Auge vorüberzogen und mich so tief die
Wahrheit des Tichterwortes fühlen ließen, daß
unsere kleinen Schmerzen verstummen müssen, hier,
wo eine Welt in Trümmern liegt."
Er schwieg, und gleichsam wie ein Echo seiner
Gedanken drangen die Worte eines alten Liedes
hinaus zu uns, wie es die Feldarbeiter um Rom
heimkehrend zuweilen nach einer melancholischen
Weise singen:
„Roma, Roma tu non sei come era prima!“
Einige Minuten saßen wir schweigend den fern
verklingenden Tönen lauschend, dann fuhr mein
unbekannter Freund fort: „Meine Bekanntschaft,
die Sie so freundlich sind zu wünschen, würde Ihnen
aus die Dauer keine Freude machen. Wie ich Sie
nach flüchtigem Begegnen recht zu beurteilen glaube,
sind Sie eine ächte und rechte fröhliche Künstler
natur, genießen mit vollen Zügen, was Natur und
Kunst Ihnen hier verschwenderisch bieten, sind
leichtlebig und haben das Bedürfnis der Mitteilung.
Vor Ihnen liegt die Zukunft rosig und glänzend,
mich aber, den gereisten Mann" — er brach ab,
verfiel in Schweigen und wie er da saß, das gram
durchwühlte Antlitz dem vollen Blonde zugekehrt,