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eine geringe Anzahl aufzuweisen hat. Nur wenige
Namen sind aus der ganzen hessischen Litteratur
geschichte der älteren Zeit anzuführen und aus der
neueren, aus der lebenden Generation wüßte ich
nur zwei zu nennen: Alfred Bock und Wilhelm
H o l z a m e r.
Mein Aufsatz soll von Alfred Bock allein
handeln, wenn auch die Versuchung nahe gelegen,
die beiden Schriftsteller hier einander zu vergleichen.
Otto Müller hat einmal in einem seiner Werke,
der kleinen packenden Erzählung „DerTannenschütz"*),
ausgerufen: .„Die Heimat läßt nicht von uns los,
so weit und lange wir uns auch von ihr entfernen
mögen." Diese Worte möchte ich meinen Aus
führungen über Bock voranstellen, denn auch er hat
zuerst den Lorbeer auf anderen Gebieten, außerhalb
der Heimat gesucht, bis auch ihm das Bewußtsein
seiner Stammeszugehörigkeit zu einem braven, kernigen
Bolksschlage packte und er in dieser Stimmung den
oberhessischen Bauern in die Litteratur einführte.
Otto Müller, über den ich in Nr. 22 des letzten
Jahrgangs ausführlich sprach, hat dieselben Be
strebungen ja auch gehabt. Aber hier ergibt sich
schon der rein formale Unterschied, daß Müllers
Personen aus allen Lebensklassen genommen, ja in
der Mehrzahl den Kreisen der „besseren Stände"
angehören, während Bock mit wenigen Ausnahmen
seine Helden aus den Kreisen der Landbewohner,
also der Bauern und der städtischen Arbeiterschaft
entnimmt. Diese rein äußerliche Verschiedenheit ist
charakteristisch für den Dichter Bock. Er vermag
sich so in das Volkstum seines Stammes zu ver
senken, daß anders geartete Figuren gar nicht auf
kommen, er vermag sich so in einen Dialekt zu
vertiefen, daß er ihn auch dann nicht verläßt, wenn
er mit seinen eigenen Worten etwas erzählen will.
Wir finden überall in Bocks Werken, die ausgesprochen
aus heimatlichem Boden entstanden, das tiefste und
liebevollste Sichversenken in das Gemüt des Volkes,
das innigste Vertrautsein mit all den Sorgen
und Mühen, die das tägliche Leben, ganz besonders
in diesen Kreisen mit sich bringt. Und hier möchte
ich auch wieder auf ein Wort Otto Müllers ver
weisen. In seinem schon genannten „Tannenschütz"
läßt er den Pfarrer die ebenso schönen wie richtigen
Worte sprechen: „O ihr glaubt nicht, wie gerade
im gemeinen Volke das rein Menschliche in seinen
guten und schlimmen Seiten oft viel großartiger
und poetischer zu Tage tritt wie dort, wo das
Leben der sogenannten gebildeten Stünde mit seinem
Lurus, seinen Rücksichten und Formen die ursprüng
liche Naturanlage und Individualität verwischt und
*) „DerTannenschütz", Vertag vvn Adolf Bonz ^ Comp.
Stuttgart 1883. (4. Ausl.)
den angeborenen Charakter oft in sein gerades
Gegenteil verkehrt." In dem Hervorkehren des
rein Menschlichen liegt aber auch das, was Bock
und mit ihm so viele der modernen Schriftsteller
von den „Dorsnovellisten" entfernt. Hier kraft
volles Sichversenken auch in die Schwächen des
Landbewohners, dort sentimentales Hervorkehren und
Hervorsuchen nur der guten Eigenschaften. Ta tritt
es denn bei Bock nun thatsächlich ein, daß sich die
Grenzen zwischen Realismus und Heimatsknust zu
verwischen drohen,, aber niemals triumphiert der
Realismus. Bock ist Realist durch und durch, in
sofern auch, als er das innige Bestreben zeigt, dem
Seelenleben seiner Helden gerecht zu werden. Seine
letzten Romane sind durchweg psychologischer Art.
Niemals geht er aber über die Grenzen der Ästhetik
hinaus, niemals wird sein Wahrheitsdrang zum
Naturalismus. Er giebt uns dörfische Sittenbilder
teilweise mit krassen Farben, er schildert eben, ich
kann das nur immer wiederholen, das Leben, wie
es ist. Hierdurch steigt er aber zu höheren künst
lerischen Sphären, hierdurch erhebt er sich über
den Boden des Dorfromanes zum Romane großen
Stiles, ohne aber das Heimatsgefühl zu vergessen
und sich der heimischen Erde abzuwenden. So
weht in allen seinen Werken ein frischer Erd
geruch Bock ist ein Freund psychologischer
Probleme, stets vertieft er sich ins Seelenleben seiner-
handelnden Persönlichkeiten und nie bleibt er an der
Oberfläche bloßer Beschreibung. Charakteristisch für
ihn sind die in allen Werken wiederkehrenden Mono
loge, die, teilweise auch in leichtem Dialekt geschrieben,
das ganze Dichten und Trachten der Personen vor
uns eröffnen. Hierin liegt etwas zu Natürliches,
und gerade die an vielen Stellen angewandte Mund
art läßt uns die ganze Situation als eine ganz
natürliche vor unserem geistigen Auge erstehen.
Man kann ja geteilter Meinung darüber sein, ob
der Dialekt an Stellen, wo die Personen des Romans
nicht selbst sprechend auftreten, notwendig sei. Ich
muß gestehen, daß ich im allgemeinen der Ansicht
war, daß der Dialekt im ernsten Romane nur im
Dialoge zu verwenden sei. Ich will aber Bock
gerne zugestehen, daß, die Berechtigung des Dialekts
überhaupt anerkannt, er vollständig mit Recht ge
handelt hat, wenn er die Gedankengänge seiner
Personen auch in dialektisch gefärbter Weise vor
bringt. Denn niemals wird eine Persönlichkeit,
die sonst eine Mundart spricht, aus einmal, wenn
sie mit sich in Gedanken verkehrt, ansangen hoch
deutsch zu sprechen resp. zu denken. Es bleibt
natürlich auch hier der Dialekt bestehen, und da
durch, daß Bock dieses erkannt und angewandt, hat
er eine große Natürlichkeit einerseits und freiere'
Beweglichkeit andererseits erzielt. Als Beispiel für