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wie auf einer Wiese Heu machen konnte; am
Cyriaksberge war so viel Gestrüpp aufgewachsen,
das; sich die wenigen Einwohner nachher dort bei
Überfällen zu verbergen suchten. So war Eschwege
in den Flammen untergegangen, die Bürgerschaft
hatte sich zerstreut und der einst so blühende Ort
war eine Stätte des Jammers geworden. Nach
dem die Kannibalen sich entfernt hatten, kehrten
manche der Flüchtlinge zurück und suchten anfangs
Obdach in den Kellern mitten in den Trümmern.
Der Mangel. die ausgestandene Augst und das
Elend erzeugten Krankheiten und nur wenig ge
sunde Menschen wurden angetroffen. Dazu kamen
Füchse aus Wald und Feld, griffen die Menschen
au in ihren Zufluchtsstätten und quälten sie, ebenso
Hunde, welche vor Hunger und vom Genusse des
Menschenfleisches (!) rasend geworden waren. Ta
sehr viele nicht wieder zurückkehrten, ging der Wieder
aufbau der Stadt nur langsam von statten. Wie
klein der Rest der Bürgerschaft im Jahre 1638
war, läßt sich daraus schließen, das; im ganzen
Jahre nur sechzehn Kinder getauft wurden." *)
Neue Schrecken brachte der Aufenthalt Ba uners
über die Werralandschaft. In nächster Nähe
Eschweges lagerte er erst am rechten, dann am
linken Ufer der Werra. Pfarrhäuser und Edelsitze
wurden bis auf den Grund zerstört, dem Land
mann das letzte Stück Vieh, die letzte Frucht ge
raubt. So klagt der Pfarrer von Niederhaue,
das; ihm von 85 Ackern nicht so viel Stroh ge
blieben wäre, daß er darauf hätte ruhen können.
In Reichensachsen war „das Winter- und Sommer
feld gant; von den Kriegern hinweggenohmeu
worden, das mau auch nicht erkennen können an
manchem Ort, was und ob Frucht da gestanden.
Umb die Berge her und an entlegenen heimlichen
Feldern haben wir eine geringe Nachlese funden,
das man etwa ein Par mahl davon in die Mühl
thun können; daraus eine große Theurung und
Hunger erfolgt. Das Malder Korn kostete
6 — 7 Thaler; es kam aus Polen über Bremen."
Obwohl die Schweden nach etwa sechs Wochen
die Gegend verließen, dauerten die Beunruhigungen
dennoch fort. Ludolph versichert: „Ob wir nun
wohl (nach dem Abzüge der Schweden, d. V.)
daheim gewest, so hat sich doch niemand getrost
*) Diese lebhafte Schilderung hat Schmincke, wie er
berichtet, nach handschriftlichen Nachrichten des zeitgenössischen
Pfarrers Ludolf zu Reichensachsen gemacht, die derselbe
ursprünglich in der Wildnis mit Rötelstein auf einzelne
Zettel zeichnete. Das Manuskript befindet sich in der
Ständischen Landesbibliothek zu Kassel. Weiter folgte
Schmincke den Aufzeichnungen des Altstädter Pfarrers und
nachmaligen Superintendenten Hü ttervdt in einem Kopial-
buch der Allenbörfer Snperintendentnr, sowie handschrist-
lichen Chroniken.
dörffen sehen lassen, deil die Streifferey so stark
hin und wider gangen, das man nicht gewust, was
j vor Bolck. So haben Freund und Feind Brodt
j und Kleider, Pferde und Vieh weggeuohmeu. Es
! hat sich einer hier, der ander dort vf den Bergen
iil Hecken und Wildnussen gegen den Winter sein
i Huttlein gemacht, mit Weib und Kind, Tag mib
; Nacht vshalten müssen, da haben wir gewohnt,
gekocht, predigt, Betstunde oftmahle, auch wohl
Tauff verrichtet."
Ein gefährlicher Bundgenoß des Feindes war
die Teuerung. „Zu Eschweg war auch oft weder
Brodt noch Korn zu bekommeil, das wir (aus
Reichensachseu) in den grossen Ängsten vvrtgelauseu
nach Alleudorf, da wir ein Schiff antroffen, vild
dlirch grosses Gedrängt iiitb List darzu kommen,
das wir in den Säckeil das Geld in das Schiff
geworffen nnb ein jeder ein wenig Korn erhalten.
Ausflüchte halten an von Pfingsten bis zum Ende
dieses Jars. Kurtz vor Christag sind wir etwas
zil Ruhe kommen, das wir in die Kirch kommen
können. Sonst den ganzen Sommer haben wir
mit großer Gefahr die Arbeit gethan, des Nachts
in den Bergen und Wildnussen unser Schlaf-
cammerleiu gehabt. Oft haben wir uns gewagt,
den Sontag unsere Versammlung in der Kyrch
zn haben, aber ist nicht in die Kyrch geleutet
worden, dreymahl an die große Glock geschlagen
ist das Zeichen gewesen, znr Kirch zu kommen,
welches Zeichen die Partheyen, so vom Eichsfelde
hero ufgepasset, nicht verstanden, haben vielmehr
gemeinet, als ob wir von ihnen wußten, mib
geben das Zeichen daraus, das jedermann ans dem
Wege gehen nnb fliehen solle. Dieser Modus des
Kirchenleutens hat ein halb Jar gewehrt bis nach
Martini, da eine Kayserliche Salvaguard in
Eschweg gelegt worden, sind wir aus den Bergen
iil grossem Regenwetter und Kälte ufgebrocheu
und haben mit grosser Gefahr die Stadt erreicht.
Viele vor und hinder uns sind auf der Strassen
ertappet und geplündert worden, dadurch sie uf
ein newes umb alle das ihrige kommen. Kurtz
vor Christag von Eschweg sint wir wider heim
kommen, haben einen elenden Winter gehabt und
einen Auslaus über den anderen gehalten. Sint
keine Stunde zu Tage oder Nacht sicher gewesseu.
Da sind so viel Leute hinweg gangen, sich theils
in die Pfaltz, theils nacher Bremen und daherumb
in's Land zu Braunschweig, Hollstein und in
Hamburgk begeben, das 10 Wittfrawen und etwa
26 Mann im Dorfs geblieben, die der Gemein
Bestes vertretteu und ausgehalten haben. Da hat
mancher feinen Acker Land umb ein Liemas Korn
feil gebotten. Da ist das Rathhaus vvrtgangen
vor 60 Thaler, so au Coutributiou und Brand