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In dem nun zwischen dem Kurfürsten und Herrn
von Eschwege folgenden Gespräch bemerkt der letztere,
dos; er den Zirkusbesitzer, falls ihm die Erlaubnis
versagt werde, schadlos halten müsse, worauf der
Kurfürst erwidert:
„Na, dann lassen Sie ihn in drei Teufelsnamen
Weiterbanen, denn wenn Sie ihn schadlos halten,
Eschwege, muß ich die Geschichte ja doch bezahlen."
Eschwege ärgerte sich über die Logik des Fürsten
und begann alsbald stark zu husten.
„Was fehlt Ihnen, Eschwege?"
„Ich bin verschnupt (!), Königliche Hoheit."
„So! — Wie kommt das?"
„Es ist mir eben eine Mücke in den Mund
geflogen und die habe ich verschluckt?"
„Verschluckt!" ries der Kurfürst aus, der sich
ungemein leicht verekelte, und begann sich dann
heftig zu erbrechen. — Der Stallmeister, dem gar
keine Fliege in den Hals geraten war, hatte sich
gerächt und der kleinen Majestät ans dem Throne
Hessens die erhaltene moralische Backpfeife mit dem
Zirkusbesitzer aus seine Art zurückgezahlt."
Mit Bezug auf diese Darstellung schreibt uns
Herr Heinrich Jonas, der bewährte Kenner
altkasseler Verhältnisse und Begebenheiten:
„Seitdem in der Frühjahrsmesse des Sturmjahres
1848 der jugendliche Renz seinen Zirkus auf der
damals wüsten Rasenfläche hinter der Garde-dn-
Corps-Kaserne aufgeschlagen hatte, sahen wir durch
eine ganze Reihe von Jahren keine anderen Kunst
reiter hier, hauptsächlich aus dem Grunde, weil
man dem Kurfürsten eingeredet hatte, daß durch
Zirkusvorstellungen die Kasselaner vom Besuche des
Hostheaters zurückgehalten würden. Dem Polizei
direktor, bei dem zu allen derartigen Schaustellungen
zuvor die Erlaubnis auszuwirken war, wurde dem
zufolge befohlen, der Aufstellung eines Zirkus oder
verwandten Unternehmens, von dem ein starker
Zuspruch der besseren Kreise zu befürchten war,
ein für allemal zu verbieten, und diesem Befehle
wurde vorkommenden Falles auch streng Folge
gegeben. Nun passierte es in der Frühjahrsmesse des
Jahres 1860, daß die Zirknsbesitzer Hütte mann
und Suhr hierher kamen und bei dem damaligen
Polizeidirektor Bernstein um Genehmigung nach
suchten, Vorstellungen geben zu dürfen. Der unter
dieser Flagge segelnde Zirkus stand zuvor wegen
seines ausgezeichneten Pferde- und Künstlermaterials
in hohem Ansehen, hatte aber zu jener Zeit in
Südrnßland oder in der Türkei durch Unglücksfälle
so argen Schiffbruch gelitten, daß von all' der
früheren Herrlichkeit nichts übrig geblieben war
als außer wenigen ganz unbedeutenden noch zwei
Pferde von allerdings höchster Dressur, womit die
Besitzer sich elend durch die deutschen Lande schlugen
und entblößt von allen Mitteln hier ankamen.
Polizeidirektor Bernstein, der diese Armseligkeit
wohl nicht unter den Begriff eines Zirkus glaubte
bringen zu müssen, der den Besuch eines Kunst-
instituts wie unser Hoftheater zu gefährden im
stande sei, gab ohne weiteres die Erlaubnis zum
Spielen, und so stand denn unter anderen Schau
buden auf dem alten Kadettenplatze (Steinweg) ein
kleiner Zirkus von trauriger Gestalt in der Um
hüllung von abgenutztem, rissigem und hundertfach
geflicktem Leinen.
Ter kurfürstliche Oberstallmeister von Eschwege,
dessen ritterliche, schöne Erscheinung uns Älteren
in lebendiger Vorstellung geblieben ist, ein echter
Kavalier von feinster Art, der nie niib nimmer
sich solche unpassenden plumpen Scherze dem Kur
fürsten gegenüber erlaubt hat, wie sie in dem
Artikel der „Sonne" erzählt worden sind, hatte
schon vor Beginn der Messe durch seine Stall
bediensteten Kunde von der Anwesenheit der Zirkus-
pserde erhalten, und als großer Pserdesrennd und
-Kenner machte er alsbald dem Zcltstall am Stein
wege seinen Besuch und ließ sich die Pferde vor
führen. Ganz entzückt von der Schönheit und
hohen Dressur der beiden Tiere, sicherte er für
sich und seine Freunde regen Besuch der Vor
stellungen zu.
Der Polizeidirektor, welcher dem Kurfürsten jeden
Montag über alle wichtigen Vorkommnisse in seinem
Ressort Vortrag zu halten hatte, wurde nun sehr
ungnädig empfangen, weil er, dem kurfürstlichen
Gebote zuwider, dem genannten Zirkusbesitzer erlaubt
habe, Vorstellungen zu geben, was dem Kurfürsten
von übelwollender Seite sofort hinterbracht worden
war. Wie Bernstein sich auch bemühte, dem Fürsten
darzulegen, daß er durchaus nicht gegen seine Vor
schrift gehandelt habe, da dieses ärmliche Zelt denn
doch ganz und gar nicht unter die Kategorie der
Zirkusse zu registrieren sei, es blieb bei dem strengen
Befehle, die Bude sofort abbrechen zu lassen. Bern
stein mußte dem nachkommen, so leid es ihm für
die armen Menschen auch that.
Das gab nun gar großen Jammer. Die Leute,
die ohne einen Heller Geld gekommen waren, hatten
bisher alles auf Kredit entnehmen müssen und
wußten nun keinen Rat, wie sie diese Schulden,
die sie aus den bevorstehenden Einnahmen zu decken
gedachten, begleichen sollten. In seiner Verzweif
lung wandte sich Hüttemann an Herrn von Eschwege,
ob er, der sich so freundlich gezeigt hatte, ihm
vielleicht aus seiner Not herauszuhelfen vermöchte.
Dieser sann darüber nach. Mit einer mäßigen
Geldunterstütznng war es nicht gethan. Da kam
ihm ein guter Gedanke, und er gab Hüttemann
einen Weg an, wie er den Kurfürsten, aus dessen