Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Hessen
Ein Gedenkblatt zu seinem hundertjährigen Geburtstag.
Von W. Ben necke.
(Schluß.)
n jenem Erinnerungstage, der in dem Ge
dächtnis der Zeitgenossen unverlöschlich fortlebt,
befand sich unter vielen patriotischen Hinweisungen
in der Obersten Gasse auch eine umftortc Fahne
Schleswig-Holsteins mit der Umschrift: „Op ewig
nngedelt! ! 1460." Drei Jahre später seilte Schles
wig-Holstein die offizielle Ursache der E itthronung
des Kurfürsten geworden sein, denn bei dem zwischen
den Großmächten Preußen und Österreich wegen
der wiedergewonnenen beiden Herzogtümer aus-
gebrochenen Zwist, der schließlich zum Kriege
führte, lehnte der Kurfürst den Anschluß an
Preußen und den Eintritt in einen an Stelle
des alten Bundestages neu zu bildenden Staaten-
buud ab, obwohl Minister und Stände das über
aus Gefährliche der Sachlage bei dieser Handlungs
weise klar legten. Über die Gründe, welche den
Kurfürsten in die Arme Österreichs trieben, sind
die Ansichten verschieden. Die ihm freundlich
Gesonnenen stellen dabei seine Bund est reue
in den Vordergrund, die Gegner seine persön
lichen Interessen, die sich um seine im öster
reichischen Staatsgebiete liegende Herrschaft Horscho-
witz drehten, das hauptsächliche Erbteil seiner
Familie. Beide Motive mögen für den Anschluß
au Österreich bei ihm zusammengewirkt haben,
wenn auch kein Beweis dafür vorliegt, daß eigen
süchtige Gründe den Kurfürsten in erster Linie
bestimmt hätten. Leicht ist dem Kurfürsten die Ent
scheidung keinesfalls geworden, da er tief in den
preußischen Verhältnissen sowohl durch Tradition,
wie durch nahe Familienbeziehungen wurzelte. Von
dem preußischen Gesandten Herrn von Nöder
soll er für den Fall eines Bündnisses sehr ver
lockende Versprechungen bez. Gebietserweiterungen
erhalten haben. Aber weder Versprechungen, noch
Drohungen von Seiten des preußischen Gesandten
konnten den Kurfürsten für die Idee der Bundes
reform, die Berufung eines deutschen Parlaments
oder die Allianz mit Preußen gewinnen, und
als der Gesandte ihn darauf hinwies, daß Preußen
imstande sei, den Prinzen Friedrich von Hessen,
den damaligen präsumtiven Thronfolger, in die
Regierung des Kurfürstentums einzusetzen, hatte
der Kurfürst die stolze Erwiderung, daß er dem
Prinzen im gegebenen Falle als Hochverräter den
Kops vor die Füße legen lassen würde. Jedoch
halte er den Prinzen nicht für fähig, in solcher
Weise gegen ihn aufzutreten. In dieser Hinsicht
hatte der Kurfürst recht, denn am folgenden
Morgen traf der Prinz in aller Frühe von Berlin
kommend in Kassel ein. um sich dem Oberhaupt
des hessischen Fürstenhauses zur Verfügung zu
stellen.
Der Kurfürst ernannte ihn zum Befehlshaber-
seiner Truppen, die sämtlich die Ordre erhielten,
nach dem Main abzurücken, und sich sofort dort
hin in Bewegung setzten. Alsbald aber miß
trauisch geworden, entzog er dem Prinzen das
Oberkommando wieder und übertrug es dem
Generalmajor von Schenk zu Schweinsberg.
Er selbst blieb im Gefühle seiner persönlichen
Unantastbarkeit nur mit wenigen Offizieren ans
dem Schlosse Wilhelmshöhe zurück. Mit den
Truppen reiste auch die Fürstin von Hanau
und die älteste Tochter des Kurfürsten, die
Fürstin von Psenburg, die sich zum Besuche
bei ihren Eltern befand, nach Hanau ab. Es
geschah dies vom 16. auf den 17. Juni. Am
Tag darauf trug der französische Gesandte
Marquis de Bondy im Namen des Kaisers
Napoleon dem Kurfürsten eine Intervention an,
welche dieser jedoch-entschieden ablehnte. Indessen
hatten preußische Heeresabteilungen unter dem
General von Beyer von Wetzlar her die hessische
Grenze überschritten und am 19. Juni Kassel
besetzt. Nachdem am folgenden Tage die ersten
preußischen Soldaten auf Wilhelmshöhe erschienen
waren, gab der Kurfürst noch in völliger Gemüts
ruhe, als ob er sich im tiefsten Frieden befände,
einem seiner Unterthanen eine Audienz, die mit
der Politik auch nicht tu dem geringsten Zu
sammenhang stand. Es war ein Hofmusikus von
seiner Hvftheaterkapelle. den er empfing. Dieser
war einige Tage vorher zum Hoforganisten er
nannt worden und wollte dafür seinen Dank
abstatten. Angesichts der drohenden militärischen
Bewegung, die sich bis nach dem Lustschlosse des
Fürsten gezogen hatte, glaubte der Künstler gar
nicht angenommen zu werden, aber der Kurfürst