206
des Konventes gewesen ist. Er war es, der per
sönlich bei der Kurie die Heiligsprechung Elisabeths
schon im Jahre 1234 energisch betrieben hatte und
nun als Ordensherr am Pfingstfest (27. Mai)
1235 erreichte; am 1. Juni wurde sie der Christen
heit durch die Bulle „Gloriosus in maiestate“
verkündigt. Er war es, der alsbald nach seiner
zweiten Rückkehr aus Italien am 14. August 1235
in Gegenwart des Hochmeisters Hermann von Salza
den Grundstein zur Kirche St. Elisabeth legte.
Auf seine Rechnung kommt das großartigste Fest,
das je auf oberhessischem Boden gefeiert worden
ist: die Erhebung der Gebeine der hl. Elisabeth
am 1. Mai 1236. Roch heute ruft in der Mittags
stunde eines jeden 30. April die größte Glocke
der Elisabethlirche die Erinnerung wach an die
Einkehr Kaiser Friedrichs II. und der glänzenden
Bersammlung der Erzbischöfe und Bischöfe, Fürsten
und Herren seines Reiches bei der Grabstätte der
ungarischen Schwärmerin. Endlich sind auch zweifel
los unter der thatkräftigsten Mitwirkung Landgraf
Konrads die ersten Wohn- und Wirtschaftsgebäude
der Kommende erstanden, eine Thalburg hinter
Ringmauern, an denen die landgräsliche Herrschaft
ihre Grenze fand. Tie Ordensherren jener Tage
würden es sich gründlichst verbeten haben, wenn
ihnen jemand vom „Deutschen Hause zu" oder „in
Marburg" hätte reden wollen: für sie gab es mit
Recht nur ein Deutsches Haus „bei Marburg".
Sie würden auch schwerlich damit einverstanden
gewesen sein, die Summe ihrer örtlichen Borrechte
lediglich als „Asylrecht" bezeichnet zu sehen: denn
ihr Haus und Herrschaftsgebiet erfreute sich damals
und noch auf lange Zeit hinaus der staatsrecht
lichen Unabhängigkeit von der landgräflichen Herr
schaft in Hessen.
An der Spitze des ganzen Ordens stand in
jenen Tagen noch der große Hochmeister Hermann
von Salza. Dieser „soll" nun in Marburg zuerst
den Plan zur Eroberung Preußens gefaßt haben.
Ich weiß nicht, worauf sich diese angebliche Über
lieferung gründet. Jedenfalls ist sie falsch. Denn
ans jedem Geschichtswerk kann man sich belehren
lassen, daß der Hochmeister schon 1226 durch
Friedrich II. mit allen Eroberungen, die der
Orden in Preußen machen würde, von Reichs
wegen belehnt worden ist, und daß er schon 1230
den Hermann von Balk als ersten Landmeister
nach Preußen entsandt hat. Aber ein anderes für
den Teutschen Orden und die Germanisierung der
Ostseeländer wichtiges Ereignis hat sich allerdings
im Marburger Ordenshaus abgespielt: die Ein
verleibung des livländischen SchwertbrüderordenS
in den Deutschen Orden. Doch ist auch diese
Idee nicht vom Hochmeister des letzteren, sondern
von den Schwertbrüdern selbst allsgegangen, und
die ersten nachweisbaren Spuren voll Verhandlungen
darüber führen nicht in das Deutsche Haus bei
Marburg, sondern auf den großen Mainzer Reichs
tag vom August 1235. In Marburg fanden aber
die entscheidenden Kapitel statt. Das erste hielt
nach seiner Rückkehr aus Livland der Marburger
Ordenspriester Ludwig von Otlingen Ende 1236
ab; es stellte die definitive Entscheidung dem Hoch
meister zu. Erst auf dem zweiten, einem General
kapitel (Anfang Juni 1237), führte dieser selbst
den Vorsitz und vollzog aus Grund vorhergegangener
Verhandlungen mit Papst und Kaiser die Ver
schmelzung beider Orden. Damals beriet er nun
auch mit seinen Gebietigern die in Livland zu
befolgende Ordenspolitik, zu deren Durchführung
er wieder den Hermann Balk als Heermeister
dorthin sandte.*) Vielleicht haben diese letztgenannten
Thatsachen jener angeblichen Tradition vorgeschwebt.
„Sitz des Hochmeisters" des Deutschen Ordens
war aber das Teutsche Haus bei Marburg darum
so wenig wie irgend ein anderes Ordenshaus in
Europa. Diese Ehre kam bis 1291 allein Akkon
im hl. Lande zu. Gewiß haben die Hochmeister,
wenn sie sich in Europa aufhielten, je nach llm-
ständen auch in Marburg Wohnung genommen, wie
uns das wiederholt von Hermann von Salza be
richtet wird und wie das für Landgraf Konrad, den
Rachfolger Hermanns, wahrscheinlich ist, der während
seiner kurzen Regierungszeit (1239—40) Palästina
meines Wissens nicht betreten hat. Auch die Er
oberung Akkons hat darin keine Änderung geschaffen:
nicht bei Marburg, sondern in Venedig war von
1291 — 1309 das Haupthaus des Deutschen Ordens
und die ordnungsmäßige Residenz des Hochmeisters.
Aber 1293 treffen wir auch wieder einmal einen
Hochmeister — es ist Konrad von Fenchtwangen —
auf einer seiner Inspektionsreisen am Grabe Elisabeths.
Run giebt es allerdings jüngere Nachrichten aus
dem Mittelalter, die Marburg als hochmeisterlichc
Residenz zwischen Venedig und Marienburg ein-
schieben. Indes ist diesen Quellen, wie ich in
meiner Deutschordensgeschichte S. 58 s. gezeigt
habe, nicht allzuviel Glauben beiznmessen. Denn
der Auszug des Ordens war veranlaßt durch das
Interdikt, mit dem die Königin der Adria am
27. März 1309 belegt wurde; am 3. April hielt
sich der Hochmeister Siegfried uou Feuchtwangen
in Wien auf; zwischen dem 13. und 21. September
bereits zog er in die Marienburg ein. Rechnen
wir nun die zu den Reisen Wien-Marburg und
Marburg-Marienburg notwendigen Zeiträume ab.
*) Näheres, namentlich über die Zeitbestimmungen, in
meiner Geschichte S. 26 ff.