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des Landgrafen, mit einem anderen deutschen
Fürsten verbinden und diesem die Borteile zu
wenden, die jenem zugedacht gewesen.... Die
schriftliche Antwort des Kaisers auf das von
pp. Morenville überbrachte Schreiben Serenissimi
bestätigt den Inhalt der obigen Unterredung.
Unmittelbar nachdem wurde auch' von Herrn von
Talleyrand eine ausdrückliche Depesche an Herrn
Helfinger erlassen, welche letzterer persönlich hier
nach Gießen überbrachte, und das darin erneuerte
Verlangen durch mündliche Vorstellung auszu
wirken bemüht war. So sehr indessen Se. Land-
gräfl. Durchlaucht durch die französischen Anträge
Sich geschmeichelt fühlen, und so sehr Sie, nach
Ihren dem Kaiser Napoleon gewidmeten Ge
sinnungen von Verehrung und Anhängigkeit
wünschten, Sich für diese Partie erklären zu
können, so wären Sie doch durch das gegen den
Berliner Hof übernommene Engagement zu sehr
gebunden, als daß Sie Sich nicht für verpflichtet
hätten halten sollen, bei diesen neueren Umständen
und wiederholten! französischen Ansinnen, ehe Sie
darauf eine definitive Antwort erteilten, Sich
abermals den bestimmten Rat des Königs von
Preußen zu erbitten. Serenissimus haben demnach
beschlossen. HöchstJhren General-Adjutanten von
Oyen, mit einem Höchsten Handschreiben an
Se. Majestät abzuordnen "
Nach der Schlacht bei Austerlitz und dem Preß-
bnrger Frieden war der Fortbestand des deutschen
Reiches nur noch eine Frage der Zeit. Mit der ge
planten Errichtung eines Königreichs Westfalen zum
Schutze Hollands und der Abrundung dieses neuen
Staates nach Süden war der Fortbestand der Land
grafschaft Hessen-Darmstadt bedroht. Um seinen
Staat zu retten, zeigte sich Landgraf Ludwig X.
nach den in Gießen begonnenen und in Darmstadt
svrtgesetzten Verhandlungen im Januar 1806 einem
Bündnisse mit Frankreich geneigt. Es geschah
dies wohl auch unter dem Eindrücke der Nachricht,
daß bei dem Gouverneur zu Darmstadt, dem
General de Werneo, ein Schreiben des Ober-
kommandanten der französischen Armee, des Mar
schalls Augereau, unter dem 5. Januar 1806
aus dein Hauptquartier zu Heidelberg eingelaufen
sei, aus dem hervorging, daß das französische
Korps Augereaus sich gegen die hessischen Staaten
wenden würde, die Einwohner möchten sich ein
richten, die französischen Truppen zu empfangen;
man zweifle nicht an einer freundschaftlichen Auf
nahme. 2 ) Einige Tage nachher schlug Augereau
sein Hauptquartier in Darmstadt auf. Die Ver-
*) Darmstädter Archiv: Ministerial-Akten. Neutralität
1805 rc. Rheinbund A. D. Convolut I.
[ Handlungen über den Anschluß Hessen-Darmstadts
j an Frankreich zogen sich noch einige Monate
hin, bis der Landgraf schließlich durch ein vom
16. Juni 1806 aus Gießen datiertes eigenhändiges
Schreibens seinen Generaladjutanten Morenville
autorisierte, den Beitritt zu Frankreichs Sache
bestimmt zu erklären: „Da die gegenwärtigen
Umstände Uns bestimmt haben, Herrn von Moran-
ville 3 4 * ), unsern Generaladjutanten, an den kaiserlich
französischen Hof zu schicken, so ermächtigen Wir
ihn durch dieses Schreiben, jedem Bundesvertrage
mit dem Kaiser der Franzosen beizutreten, alle
unsere Truppen gegen Frankreichs Feinde anzu
bieten und allen Einrichtungen zuzustimmen, welche
Seiner kaiserlichen Majestät angenehm sind."
Zwischen den Vertretern der Regenten von
Baiern, Württemberg, Baden, Berg und Cleve,
Hessen-Darmstadt, Nassau-Usingen, Nassau-Weil-
burg, Hohenzollern-Hechingen, Hohenzollern-Sig-
maringen, Salm-Salm, Salm-Kyrburg, Psenburg-
Birstein, Aremberg, Lichtenstein, Leyen wurde
unter dem Vorsitze des französischen Ministers
Talleyrand in vierzig Artikeln die Rheinische
Bundesakte beraten. Der Landgraf von Hessen-
Darmstadt hatte als Vertreter den Baron von
Pappenheim entsendet. Die vorerwähnten
Staaten schließen nach Artikel 1 einen Bund unter
dem Namen: Ltats confederes du Rhin. 6 ) $ebcr
Fürst verzichtet auf die Titel, welche auf das
deutsche Kaiserreich Bezug nehmen, und wird am
1. August die Trennung vom Reich dem nächsten
Reichstag anzeigen (3). Napoleon erklärte sich
zum Protektor des Bundes (12) und verlieh fernen
Bundesgenossen Rangerhöhungen und Gebiets
erweiterungen. Nach der Unterzeichnung dieser
Akte vom 12. Juli 1806 nahm Landgraf Ludwig X.
den Titel eines Großherzogs an. Während seiner
! Zugehörigkeit zum Rheinbünde nahm Hesseu-
Darmstadt an den Feldzügen 1806 und 1807
gegen Preußen, Rußland und Schweden, 1809
gegen Österreich, 1808—1812 gegen Spanien und
England, 1811, 1812 und 1813 gegen Rußland
und Preußen teil.
Lossagung von Napoleon.
Nach den für Napoleon unglücklich verlaufenen
Schlachten von Großbeeren, an der Katzbach, bei
Kulm und Dennewitz war der Glaube an seine
3 ) Ebenda. Wir geben hier eine Übersetzung des fran
zösischen Briefes.
*) Es findet sich die Schreibweise Morenville und
Moranville.
") Spätere Schreibweise: Tayllerand.
0) Darmstüdter Akten: Ministerial-Akten rc. Rheinbund
A. D. Convolut I.