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wie früher die Dichter, um ihnen zu huldigen,
in ihren vier Wänden aufsucht, als besondere
Sehenswürdigkeit einer Stadt, dafür aber öffent
lich um so mehr getrommelt und der Ruhm an
den Haaren herbeigezogen wird.
Therese Huber scheute sich vor der Oessentlich-
keit, und ihre Zurückhaltung ist um so bezeichn
nender, als diese merkwürdige Frau sonst, eine
Freundin der französischen Revolution, ungewöhn
lich vvrurtheilsfrei, überlebhaft, thätig, energisch,
zugreifend, nicht allzu rücksichtsvoll und vor Allem
fast männlich kühn und tapfer erscheint. Trotz
dem sie sich zeitlebens Alles selber erkämpft, Jahr
zehnte lang mit der Feder ihr Brot verdient,
ganz nur aus sich angewiesen, überall selbständig
auftritt, will sie, die Redakteurin eines ausgezeich
neten Blattes, des „Morgenblattes", als solche
nicht genannt sein und zeigt sich den Ideen der
modernen Frauenemanzipation nichts weniger als
geneigt.
Ihr Leben ^ wie es uns in Geiger's Buche,
mehr noch aus den zahlreich mitgetheilten Brief
stellen als aus der Darstellung des Herausgebers
selbst entgegentritt, macht einen vorwiegend harten
und düstern Eindruck, der nur durch ihr rastloses
Vorwärtsdringen und Hindurcharbeiten durch
schwere Hindernisse gemildert und endlich sogar
zum erhebenden wird. Denn die edle Frau mit
ihrem männlichen Geist und männlichen Muth
und doch so vielen echt weiblichen Tugenden der
Häuslicykeit, der Hingebung, Treue und Wohl
thätigkeit, ringt sich gegen Ende ihres Lebens
immer mehr zum freien Standpunkt einer heiteren
Resignation unb selbstlosen Thätigkeit durch. Noch
in ihrem letzten Lebensjahr schreibt sie das schöne
Wort (S. 392): „Und wie gestört alles Gute
auch wird, hindert uns Nichts, an unserem eigenen
Gntwerden zu arbeiten."
Diesen Eindruck des Geklärten erhält der Leser
aber erst am Schluß der Lektüre, nicht nur, weil
Klarheit das Ergebniß der Entwickelung selber
ist, nicht, weil die Verhältnisse der früheren Lebens
abschnitte allerdings verworren genug sind, sondern
weil er vorher vielfach überhaupt kein recht klares
Bild empfängt, selbst da, wo es nicht nur wünschens-
werth, sondern auch entschieden möglich gewesen
wäre. Die Schuld an diesem Mißstand scheint
mir in der Anlage des Werkes begründet zu sein.
Der Verfasser hat mehr die Materialien zu einem
Buche als ein Buch selbst geliefert. Auf das
Gründlichste werden die -Quellen namhaft gemacht
fund doch läuft hier und da ein Irrthum mit
unter), viele auch wiedergegeben, die Durcharbeitung
aber des Ganzen ist stellenweise so wenig gelungen,
daß man über ganz wesentliche Punkte im Un
klaren bleibt oder allzu lange gelassen wird,
während auf allerlei Unwesentliches viel zu viel
Raum verwandt ist. Es hat nämlich die Absicht
auf Seiten des Verfassers vorgelegen, weder eine
bloße Biographie, noch auch eine bloße Brief
sammlung zu bieten, sondern ein mixtum eom-
positum aus beidem, wobei denn freilich das
mixtum ein bloßes oomxo8itum geblieben ist.
Immer wieder im Verlauf der Darstellung unter
bricht sich der Verfasser und zieht sich hinter die
langen Briefstellen seiner Heldin zurück, ungefähr
wie in einer Schaubude der Besitzer erscheint und
erklärt und dann immer wieder zur Seite tritt.
Diese Art hat etwas Unkünstlerisches und Un
befriedigendes, namentlich wenn gar die Zwischen
bemerkungen Unklares nicht klarer machen. Das
ist im Besondern bei der Geschichte von Theresens
Ehescheidung der Fall.
Therese, die Tochter des Philologen Heyne in
Göttingen, hatte nach einer durch schweres (von
ihr selbst schonungslos aufgedecktes) Familien
unglück getrübten Jugend auf Wunsch ihres Vaters
den berühmten Reiseschriststeller und Naturforscher
Georg Förster geheirathet. Die Ehe war zu
nächst nicht unglücklich, führte aber doch, noch
bevor ein Jahrzehnt verflossen war, zur Scheidung.
Was indessen der eigentliche Grund hierzu gewesen
ist, da einerseits Förster seine Frau nach wie vor
liebte, Therese ihren Mann in hohem Grad schätzte,
während andererseits schon vor ihrer Hwirath
Therese eine Neigung zu dem damals viel be
kannten Schriftsteller Wilhelm Meyer hegte
und später den Publizisten Ferdinand Huber,
den früheren Bräutigam der Malerill Doris
Stock in Dresden, liebgewann, das aufgeklärt
zu haben, ist keineswegs das Verdienst der Dar
stellung Geiger's, sondern seiner Mittheilung
einer freimüthigen brieflichen Aeußerung Theresens
gegen Böttiger ganz am Schluß des Buches (S.390).
„Man glaubt", sagt sie dort, „und muß glauben,
mich habe eine fremde Neigung Förster abwendig
gemacht — das war nie der Fall." Sie giebt
zu, daß sie Huber geliebt habe, spricht aber aus,
daß diese Liebe nicht, wie Geiger bei der Schilde
rung der Ehescheidung meint, der Grund zu ihrer
Trennung von Förster gewesen sei. Und dieser
Aeußerung ist offenbar weder der Verdacht einer
Selbsttäuschung noch gar der einer Unredlichkeit
entgegenzusetzen. Therese nennt dort auch den
wahren Grund zur Scheidung, wonach ihr Fehler
zwar ein Fehler bleibt, vielleicht aber ein un
vermeidlicher genannt werden muß. „Ich befolgte",
schreibt sie, „die große Moral aus Kosten der
kleinen". In Wirklichkeit, dünkt mir jedoch, hat
sie die kleine Moral auf Kosten der großen befolgt.