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Die niederdeutsche Sprachgrenze vom Siegertande dis zur Werra.
Von Dr. E. M a u r m a n n.
ie deutschen Mundarten zerfallen in zwei große
Gruppen, in die niederdeutschen im Norden
und die hochdeutschen im Siiden. Die Grenze
zwischen beiden beginnt an der französischen Sprach
grenze südlich von Enpen und zieht sich in vor
wiegend westöstlicher Richtung gner durch das ganze
deutsche Reich bis in die Provinz Posen hinein,
wo sie sich im polnischen Sprachgebiete verliert.
Sie ist nun keineswegs, wie man vielleicht er-
erwarten sollte, überall gleich scharf ausgeprägt,
vielmehr haben wir es stellenweise, so besonders
zwischen Elbe und Oder, mit allmählichen Ueber-
gängcn zu thun; am schärfsten aber tritt sie
zwischen Rhein und Elbe hervor. Der östliche
Theil dieser Strecke ist bereits von Hanshalter
tu seiner Schrift „die Sprachgrenze zwischen Mittel
und Niederdeutsch von Hedemünden an der Werra
bis Staßfurt an der Bode" ausführlich behandelt
worden, hier soll der westliche Theil Ort für Ort
genau beschrieben werden, soweit er für das hes
sische Mundartengebiet in Betracht kommt, d. i.
vmn Siegerlande bis zur Werra.
Vom Siegerlande an, das selbst ganz dem
hochdeutschen Sprachgebiete angehört, folgt die
niederdeutsche Sprachgrenze zunächst dem Kamm
des Rvthhaargebirges. Diese mächtige natürliche
Grenze aber ist zu allen Zeiten auch eine politische
gewesen. Sie schied vor Jahrhunderten die Stämme
der Sachsen und Franken, im Mittelalter trennte
sie das zu Knrköln gehörige Herzogthnm West
falen von der Grafschaft Wittgenstein und wurde
so nach der Reformation auch zu einer kon
fessionellen Grenze, ltnb es ist interessant, daß in
den drei nördlichsten wittgensteinschen Ortschaften
Langewiese, Mollseifen und Neuastenberg die
Protestanten den hochdeutschen wittgensteinschen
Dialekt sprechen, die Katholiken dagegen den nieder
deutschen des angrenzenden Sauerlandes. Auf
dem Wiener Kongreß endlich blieb diese Grenze
als Kreisgrenze bestehen.
Vom Nothhaargebirge bis zum Weidelsberge
stimmt die Sprachgrenze weder mit einer natür
lichen noch mit einer politischen Grenze überein,
durchschneidet vielmehr nach einander den west
fälischen Kreis Brilon, den waldeckschen Kreis des
Eisenberges, den hessischen Kreis Frankenberg und
den waldeckschen Kreis der Eder. Die südlichsten
niederdeutschen Grenzorte auf dieser Strecke sind
Züschen, Hesborn, Dreislar, Münden, Dalwigks
thal, Büchenberg, Kirchlotheim, Harbshausen. Asel,
Basdorf, Ober-Werba, Sachsenhansen und Freien-
hngen, die nördlichsten hochdeutschen Hallenberg*),
Liesen, Braunshausen, Neukirchen, Sachsenberg,
Ober- und Niederorke, Ederbringhausen, Schmitt
lotheim, Bringhausen, Berich, Niedcr-Werba, Wal
deck und Netze.
Im Kreise Wolfhagen fällt die Sprachgrenze
mit der Wasserscheide zwischen Diemel einerseits
und Eder und Fulda anderseits zusammen, nur
das im Onellgebiet der nach Süden fließenden
Elbe gelegene Ippinghausen gehört sprachlich zum
Norden. Niederdeutsch sind also außer letzterem
Bründersen, Istha, Oelshausen, Burghasungen und
Ehlen, hochdeutsch Naumburg, Altenstädt, Balhorn
und Martinhagen. Eine bemerkenswerthe Aus
nahme bildet das am Nordabhange des Habichts
waldes gelegene Dörnberg, von dem man unbedingt
annehmen sollte, daß es dem niederdeutschen Sprach
gebiete angehöre; und dies ist bis in die erste
Hälfte des vorigen Jahrhunderts thatsächlich der
Fall gewesen. Wenigstens hat mir ein geborener
alter Dörnberger, Namens Christoph Biede
bach, der in diesem Herbste sein achtzigstes Lebens
jahr vollendet hat, versichert, er habe in seiner
Jugend zu Hause und im Verkehr mit Alters
genossen nur Plattdeutsch gesprochen, während er
sich jetzt stets nur des im Orte allgemein üblich
gewordenen hochdeutschen Dialekts bediene. That
sächlich findet man dort nur noch wenige alte
Leute, die des Plattdeutschen noch einigermaßen
mächtig sind. Die Erklärung für diese höchst
auffallende Dialektverschiebung innerhalb so kurzer
Zeit wird in dem jahrelangen lebhaften Verkehre
*) Wenn N. 23 tut er im Korrespondenzblatt des Ver
eins für niederdentsehe Sprachforschnng ! V, 88 tum Halten-
berg sagt, es werde dort nach der eigenen Angabe Ein-
heiiniseher ein entsetzlicher, geniisehter Dialekt gesprvehen,
der weder von Hessen noch Westfalen, sondern nnr von
den Ortsangehörigen verstanden werde, so muß ich gestehen,
das; ich während ineines mehrmaligen Aufenthalts daselbst
hiervon nichts habe entdecken können.