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übrigen ist das Verhältniß zwischen Graf und
Volker ebenso unwahrscheinlich, wie auch die
Einführung Georg's gleichzeitig mit der Entdeckung
eines Schurkenstreiches des Grafen, der natürlich
der Böse in Person sein muß, einer realistischen
Schilderung wahrlich keine Ehre machen würde.
Ganz anders geartet ist dagegen der Roman
„Altar und Kerker". Es ist das letzte uns hinter
lassene große Werk. Es ist auch sein reifstes.
Man merkt, wie dem erfahrenen und geschickten
Romancier die Begeisterung für seinen Stoff die
Feder geleitet. Es ist ein Tendenzroman ge
worden , schlecht und recht. Aber es ist auch ein
Kunstwerk geworden, das unter allen Romanen,
die zu Ehren des „tollen Jahres" geschrieben,
einen ehrenvollen Platz einnimmt. Wahr, er
greifend wahr, treten uns die Persönlichkeiten
des Romans, an der Spitze der unglückliche
Pfarrer Friedrich, entgegen, alles geschrieben freilich
vom einseitigen Standpunkt. Aber deshalb um
so überzeugender. Ich halte diese Art der Roman
schreiberei für viel eindrucksvoller, zumal, wenn
man sich so fest auf den Boden der Wirklichkeit
stellt, wie Müller es gethan.
Dnrmstadt.
Der Roman „Georg Volker" wirkt namentlich
im dritten Theile hochdramatisch durch die Schilde
rungen der Volkswuth, der Schlachten, die ein
entzügeltes Volk mit dem Militär ausfocht. Der
artige Szenen kennt „Altar und Kerker" nicht.
Dieser Roman ist mehr psychologischer Natur.
Der laute Schall der menschlichen Leidenschaften
verhallt, es bleiben zurück die Schilderungen des
Seelenleidens eines Mannes, einer Familie. So
konnte der Roman ein viel tiefgründiger werden,
nicht arbeitend mit rohen Effekten wie der andere
(seine guten Eigenschaften alle anerkannt), sondern
wie gesagt mehr ein Seelenbild. Eine Szene im
großen traurig-komischen Schauspiel, die sich ab
spielt fern vom großen Theater der Weltgeschichte,
in der Stube des einfachen Landpfarrers, der mit
seinen Gedanken allein der Welt die lang ersehnte
Freiheit geben will.
Im letzten Theile giebt uns Müller auch noch
einige Proben der Weidig'schen Lyrik. Sie zeigen
den Verfasser als einen tief empsindenden Dichter,
dem freilich die Schulung fehlt. Immerhin würde
es sich aber einmal lohnen, die Gedichte des
„Revolutionärs" kritisch zu betrachten.
Alexander Murger.
Are Marburger Familie rum Schwan
um die Zeit der Neformution.
Von Or. Eduard Wintzer.
(Fortsetzung.)
3 vhann Schwan gehört zwar nicht zu den be
kanntesten Buchdruckern der Resormationszeit
in Straßburg, wie namentlich Wolsgang Köpfel,
doch haben einige seiner Drucke an der so leb
haften reformatorischen Bewegung, die auch von
Straßburg ausging, keinen ganz unbedeutenden
Antheil. Röhrich's „Geschichte der Reformation
im Elsaß und besonders in Straßburg I. Theil,
1830" und desselben Schrift „Mittheilungen zur
Geschichte der evangelischen Kirche des Elsasses,
1855" erwähnt daher auch an mehreren Stellen
Johann Schwan. So ist die von ihm im Jahre
1525 besorgte Straßburger Kultordnung unter
dem Titel „Ordnung des Herrn Nachtmal, so
man die Mess nennt rc." als die letzte und
kürzere der von den Straßburger Druckern zu
sammengestellten der Art, daß sie von Nöhrich
vor den anderen durch vollständigen Abdruck*)
ausgezeichnet ist. In seiner Vorrede sagt I. Schwan
*) R ö h r i ch n. n. £)., 1855, I, S. 185.
und giebt damit der echt reformatorischen Frei
heit Ausdruck, es sei bei dieser Ordnung nicht die
Meinung, jemand damit eine Regel oder Gesetz
zu machen, da solche Gebete frei nach Eingebung
des Geistes gemindert oder gemehrt werden könnten,
sofern nur das Wort Gottes selbst nicht geschwächt
würde.
Zu der gemäßigten Richtung, wie sie in
Straßburg durch die Prediger Zell, Capito,
Butzer und Hedio vertreten wurde, und der
Köpfel ganz seine Dienste lieh, gehörte, wie
Nöhrich hervorhebt*), Schwan nicht. Er war
vornehmlich einer von denen, die zum größten
Leidwesen der Prediger, die es nüt Luther nicht
verderben wollten, Karlstadt's Streitschriften über
die Sakramente nachdruckten, wogegen schließlich
der Rath durch strenges Verbot einschritt. Karl
stadt selber wurde, als er im Herbst 1524 nach
Straßbnrg kam, nach einigen Wochen aus der
*) Rvhrich a. a. O. 1830, S. 213, A. 26 und 27,
und S. 298.