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er von Zeit zu Zeit auftauchte, um bald wieder
zu verschwinden, sehr verschieden beurtheilt werde, —
als er selbst erschien, mich wie einen alten, lange
nicht gesehenen Bekannten begrüßte und neben
mir Platz nahm.
Er drückte meine Hand so warm und sah
mich mit seinen großen, himmelblauen Augen so
treuherzig dabei an, daß es keiner begleitenden
Worte bedurft hätte, um mir seine Freude über
unsere Begegnung zu offenbaren. So nahm es
mich denn auch nicht Wunder, daß er mir im
Laufe unserer Unterhaltung Mittheilungen so ver-'
traulicher Art machte, als ob er das Bedürfniß
fühlte, sein ganzes Herz vor mir auszuschütten
in der festen Ueberzeugung, bei mir das richtige
Verständniß dafür zu finden.
In anschaulichem Ueberblick gab er mir zunächst
gleichsam das Jnhaltsverzeichniß der wichtigsten
Abschnitte seiner Lebensgeschichte, um diese selbst
dann in ausführlichem Vortrage folgen zu lassen.
Er wußte überaus fesselnd und lebendig zu er
zählen, allein je mehr er in's Feuer kam, desto
besorgter wurde ich, meinen Zug zu versäumen,
da ich, festen Verabredungen gemäß, schon Vor
mittags wieder fort mußte. Seinem scharfen
Auge entging meine wachsende Unruhe nicht, und
als er nun erfuhr, daß bis zum Abgänge meines
Zuges nur noch eine halbe Stunde Zeit bleibe,
schien ihm das sehr leid zu thun. Er begleitete
mich aus den Bahnhof und lud mich aus das
herzlichste ein, ihn bald einmal in Escheberg zu
besuchen, wo es mir gewiß gefallen werde, da
auf seinem Gute alles auf das bequemste für
liebe Gäste eingerichtet sei, und wenn er auch
selbst geistig nicht viel bieten könne, so besitze er
doch eine von seinem verstorbenen Bruder ge
gründete reichhaltige Bibliothek, die schon manchen
Gelehrten und Poeten verlockt, unter seinem Dache
längeren Aufenthalt zu nehmen. Emanuel Geibel
habe nach seiner Heimkehr von Griechenland ein
ganzes Jahr hindurch bei ihm gewohnt und in
Escheberg viele seiner besten Gedichte geschrieben.
Diesem guten Beispiele möge ich folgen und
möglichst bald kommen.
Ich gab ihm lächelnd zur Antwort, daß ich
nicht in der glücklichen Lage sei, wie Emanuel Geibel
ganz der Poesie leben zu können, sondern vor
allem ein größeres Werk in Prosa vollenden
müsse, das noch jahrelange Studien und Arbeiten
erfordere. Aber sobald ich mich einmal eine
Woche frei machen könne, werde ich seiner freund
lichen Einladung nach Escheberg folgen.
Der mündlichen Einladung folgten im Laufe
des Winters wiederholt schriftliche und ich richtete
mich so ein, daß ich bei meiner Uebersiedelung
nach München im Frühjahr 1846 über Kassel
meinen ersten Besuch in dem nur wenige Stunden
davon entfernt liegenden Escheberg machen konnte,
wo ich so herzlich empfangen wurde, daß ich
mich gleich vom ersten Tage an heimisch in dem
alten Herrenhause fühlte, welches in keiner Weise
durch Prunk blendete, aber in seiner ganzen Ein
richtung und Ausschmückung den wohlthuenden
Eindruck guten Geschmacks und fesselnder Be
haglichkeit machte.
Ich war gerade zur Mittagsstunde angekommen,
wo nach der Hausordnung das Gabelfrühstück
die Familie des seit Jahren verwittweten Barons
im Speisesaale versammelte, welche damals aus
zwei Töchtern und drei Söhnen bestand. Dazu
kamen noch, außer Freisräulein Adelheid von
Baumbach, einer nahen Verwandten des Hauses
und Freundin der älteren, von Geibel viel
besungenen, unmuthigen Tochter Henriette, der
Erzieher der Söhne, Dr. Lyncker, und die Ober
leiterin des Hauswesens, Frau Dr. Müller, eine,
trotz ihrer schon zahlreichen Jahre, noch sehr
muntere und rüstige Dame.
Gleich nach dem Frühstück, dessen Dauer mir
hinlänglich Gelegenheit bot, die Tischgenossen kennen
zu lernen, führte mich der freundliche Hausherr
in bie, den größten Theil des obersten Stocks
einnehmende, überraschend reiche und wohlgeordnete
Bibliothek, um mir zu zeigen, daß sich in seinem
Hause nicht nur gut wohnen, sondern auch gut
studiren lasse. Alles dazu nöthige gelehrte Rüst
zeug war dort in Fülle vorhanden, nicht blos
für klassische Philologen, Romanisten und Germa
nisten, sondern auch für Geschichtsforscher und
Liebhaber der schönen Literatur. Die besten
Dichter und Schriftsteller aller europäischen Kultur
völker fanden sich in den besten Originalausgaben
hier beisammen, während die Geistesschätze der
orientalischen und slavischen Völker nur durch
Uebersetzungen vertreten waren, was mir Ver
anlassung gab, meinem Gastfreunde lächelnd zu
bemerken: ich hätte noch keine andere so reich
haltige Privatbibliothek gefunden wie diese und
doch fehlten gerade diejenigen Bücher darin, welche
ich zu meinen Arbeiten für die nächste Zeit am
dringendsten brauchte.
Der Baron drückte mir seine Freude darüber
aus, auf diese Lücke hingewiesen zu werden, da
sich ihm nun die beste Veranlassung biete, sie
auszufüllen, denn es sei sein größter Ehrgeiz,
die Bibliothek zu vervollständigen und auf der
Höhe der Zeit zu erhalten, wozu ihm seine ge
lehrten Freunde behilflich sein müßten, da er
selbst von diesen Dingen wenig verstehe. Ich
brauchte also die gewünschten Werke nur aus-