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Oie Wohlthäterin.
Novelle von M. Herbert (Th. Kelter).
B aronin Tessa lag in dem grünen tiefen Bambus
sessel und schaute mit dem hübschen, gütigen
Lächeln, das ihr etwas hochmüthig geschnittenes
Gesicht für die von ihr Bevorzugten so sympathisch und
unwiderstehlich machte, zu ihrem alten Freunde aus.
„Gestehen Sie nur, Tessa", sagte der Mann mit
einem seinen Lächeln, „dahinter steckt etwas Tieferes,
vielleicht ein ganzes Stück Leben. Aus augen
blicklicher Hingebung, aus Laune vielleicht, thun
Sie nichts. Ich kenne Sie."
Das Licht des sinkenden Herbsttages fiel hell
auf das schöne, energische Gesicht und aus die
ergrauten hellen Haare der Frau.
Es war noch Schönheit da, die Schönheit der
guten, alten Race, die Schönheit leidenschaftlichen
Lebensmuthes, der Erfahrung und Kenntniß der
Welt keine Ermüdung bringen konnten.
„Das ist wohl ein großes Kompliment in
Ihren Augen, bester Doktor! Aber Sie haben
ganz Recht, ich habe niemals impulsiv gehandelt,
es liegt nicht in meiner Natur. Vielleicht ist das
ein Unglück, denn nur die Impulsiven sind schnell
genug, um das Glück ein zusangen."
„Sie machten andere glücklich, Baronin, das
ist weit mehr!" sagte der Arzt ernst.
Sie lächelte ein wenig.
„Heute sind Sie gar nicht grob, Doktor; Sie
fanden nicht immer so gute Eigenschaften bei mir.
Sie haben mich im Laufe unserer langen Freundschaft
schon hochmüthig, kalt, exklusiv und kokett gescholten.
Sie sehen, ich habe Ihnen nichts vergessen."
„Wir Menschen sind allesammt keine Engel,
Baronin, aber wenn wir einen Menschen finden,
dessen Leben wenigstens einige engelhafte An
wandlungen aufzuweisen hat, sollen wir schon
dankbar und zufrieden sein und nicht mit unseren
schlechten Erfahrungen prahlen."
„Nicht mehr! — Sie nennen das eine engel
hafte Anwandlung, daß ich diese verlassene Frau
und ihren Buben nicht im Stiche lasse, daß ich
ihr helfe, wo ich kann, und sie schütze, wo ich kann?
Mein bester Doktor, nicht ich bin die Wohl
thäterin dieser Frau, sondern sie ist die meine.
Meine Freundschaft gehört ihr in unlöslicher
Weise."
„Baronin Tessa, Sie belieben zu scherzen. Wie
könnte diese kleine, unbedeutende, junge und un
erfahrene Frau Ihre Wohlthäterin geworden sein?
Verzeihen Sie, aber das geht über meinen Horizont."
„Vielleicht rauchen Sie ein paar (Zigaretten
mit mir, Doktor, Sie thaten das immer so gern. —
Und dann, wenn Sie in recht gemüthlicher
und menschenfreundlicher Stimmung sind, will
ich Ihnen beichten. Sie werden mich danach
zwar weniger als je für einen Engel halten,
aber Sie werden mich verstehen. Das war für
mich stets das Höchste, verstanden zu werden,
d. h. von den Wenigen, an denen mir liegt."
Der Doktor verbeugte sich. —
„Baronin Tessa, Ihre Auszeichnung ehrt mich;
doch glaube ich Sie auch als Lied ohne Worte
ein wenig verstanden zu haben."
Ein weicher Ausdruck trat in die Züge der
Frau — „Verstanden oder nicht: Ich hatte niemals
einen treueren Freund als Sie. Es giebt keine
schwere Stunde meines Lebens, in die Sie nicht
hilfreich eintraten. Bei der Geburt meiner Kinder,
beim Tod meines Gatten — durch alle Leiden
unserer Kinderstube haben Sie geholfen."
„Und lernte dabei die einzige Frau kennen,
die ich wirklich verehre."
Sie lächelte wieder. „Doktor, Doktor — Sie
werden doch nicht in meinen alten Tagen ansangen
mir den Hof zu machen?"
„Als ob ich das nicht immer gethan hätte."
„Nein — wir wollen ja ernst sein.
Ich will Ihnen ans einer ganz schlimmen,
.häßlichen und gefährlichen Episode meines Lebens
erzählen."
Ueber das Gesicht des klugen, alten Herrn glitt
ein Schatten.
„Erzählen Sie mir nichts Böses von sich,"
bat er, „ich könnte das nicht ganz gut vertragen."
„Sehen sie!" ries die Baronin lachend, „ich
sagte ja immer, daß die sogenannten Idealisten
die allerschlimmsten Egoisten sind. Ihre Neben
menschen sollen reine Engel sein, dann wollen sic
sich vielleicht herbeilassen, sie ,zu lieben."
„Als ob ein Arzt nicht so wie so viel zu viel
wüßte!" — er seufzte ein wenig. „Aber erzählen
Sie mir, Baronin — ich habe schon bitterere Wahr
heiten ertragen müssen, als die sind, welche mir
von Ihnen kommen können."
„Doktor, Sie wissen, ich war neunundzwanzig
Jahre alt, als mein Gatte starb — ob ich ihn
geliebt nnb betrauert habe, wissen Sie auch.
Ich habe zwei Jahre meines Lebens damit aus
gefüllt, mich nach ihm zu sehnen und mir Vor
würfe über Versäumnisse zu machen, die ich ihm
gegenüber etwa begangen haben könnte."
„Ich erinnere mich an jene Zeit, Baronin Tessa,"
sagte der Arzt, „Sie haben mir viel Sorge ge-