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Das stehende hessische Heer von 1670—1866.
Ein Abriß seiner Geschichte. Von Earl von Stamford.
(Fortsetzung.)
Das Jahr 1690.
Die Heere standen im Winter von 1689/90
in einer von Mainz über Heidelberg, Heilbronn,
Rottweil bis Rheinfelden reichenden Linie sich
gegenüber, das Hauptquartier des Herzogs von
Lothringen befand sich zu Eßlingen. Doch war die
Postirungslinie der Reichsarmee zu sehr mit kleinen
Abtheilungen besetzt, um ernstlich die Länder hinter
der Linie schützen zu können; die Franzosen ver
mochten aus den in ihrer Hand befindlichen Festungen
und kleineren befestigten Punkten nach ihrem Be
lieben auszubrechen. Dies benutzend fuhren sie fort,
die Länder am Rhein und im Südwesten Deutsch
lands zu beunruhigen und in ihrer barbarischen
Weise zu verwüsten. Der kaiserliche Feldzeugmeister
von Thüngen, Befehlshaber in Mainz, ließ zur
Abschreckung der von den Franzosen ausgesandten
Mordbrenner einen auf der That ergriffenen am
19. (29.) Mürz 1690 lebendig verbrennen und
dem französischen General die Erklärung zugehen,
daß er für jeden angezündeten Ort einen der
Gefangenen verbrennen lassen werde. Dieses ge
schah in der Weise, daß der arme Sünder bei
den Füßen aufgehängt wurde, dann unter dem
zur Erde hängenden Kopfe ein Feuer entzündet
wurde, das ihn zu Tode brannte. Kann man sich
wundern, daß die grausame, ruchlose Verwüstung
der schönen Städte und Dörfer der Pfalz und
anderer rheinischer Landschaften im deutschen Herzen
fürchterliche Rachegefühle hervorrief — will man
Thüngen als Barbaren verurtheilen?
Die deutschen Kriegsvölker zogen sich nach her
gebrachter saumseliger Weise am 9. (19.) Mai
1690 bei Bretheim (dem heutigen Breiten) un
weit Bruchsal unter dem Feldmarschall Grasen
von Dünewald zusammen und rückten daun gegen
den Rhein hin vor, wo die Armee in der Gegend
von Heidelberg 40 000 Mann stark Stellung nahm,
16. (26.) Juni. Zum Schutze der Bergstraße
waren 8 Regimenter aufgestellt. Die Kurfürsten
von Baiern und Sachsen, der Landgraf Karl
von Hessen und eine Anzahl hoher Generale
kamen am 19. (29.) Juli zu Eppingen zu einer
Berathung zusammen. Die beiden Kurfürsten
rückten danach in starken Märschen mit ihren
Truppen aus die französische Armee unter dem
Dauphin los, der mit 40 000 Mann über den
Rhein gegangen war. Der Landgraf von Hessen
jedoch setzte im August den Marsch mit den Hessen
und den Lüneburgern gegen die Mosel fort.
Der Dauphin wich jedoch gegen Straßburg
zurück, um hier über den Rhein zurückzugehen.
Die Deutschen vermochten nicht, ihn zum Schlagen
in dem schrecklich verwüsteten Lande zu bringen,
wo die Truppen fast ohne Lebensmittel waren.
Es war eine traurige Kriegführung in dieser
Zeit: hin und her zogen und zerrten sich die
Heere, wir vernehmen von keiner kräftigen That,
ohne die doch der Streit großer Völker nicht ent
schieden werden kann; aber Vernichten und Zer
stören war Zweck der französischen Heere — ihre
Erfolge müssen noch heutigen Tages den Deutschen
in jenen Landschaften des Westens Zornesröthe
in das Angesicht treiben, zugleich aber Scham,
daß die große deutsche Nation so tief hatte sinken
können, daß die Frechheit des französischen Gewalt
herrschers in solcher Weise mit ihr umspraug.
Die Armee in den Niederlanden unter dem
Feldmarschall Fürsten Georg von Waldeck,
Holländer, Engländer, Brandenburger nebst drei
Hessen-kasselischen Regimentern, die seit
dem September 1688 im Dienste der General
staaten standen, kämpfte gegen die Franzosen unter
dem Marschall von Luxemburg, einem ihrer tüch
tigsten Feldherrn. Waldeck wurde am 1. (11.) Juli
1690 von Luxemburg bei Fleurus überraschend
angegriffen, da ihm die Vereinigung von dessen
Armee mit dem zweiten französischen Heere unter
General Bousflers noch unbekannt geblieben war.
Die Franzosen waren 50 000 Mann stark, die
Verbündeten nur 37 800. Waldeck's Armee war
in zwei Treffen aufgestellt, in denen Reiterei und
Fußvolk mit einander abwechselten. Die 2 Es
cadrons des Grasen zur Lippe bildeten den rechten
Flügel des ersten Treffens, eine Ehrenstellnng;
3 Escadrons des Regiments Nassau-Weilburg
(das 1688 unter dem Obristen von Kärßenbruch