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Herrn, wohin sein Dienst ihn rief. Er war einer
der Vertrauten des Fürsten, und schon manche ver
wickelte Angelegenheit hatte durch sein menschen
freundliches Dazwischentreten eine befriedigende
Lösung gesunden. Er hätte auch Heinrich gern ge
holfen, aber wie —? Gegen die bei den Buch
händlern üblichen Bestimmungen, welche einen vor
schriftsmäßigen Bildungsgang fordern, sowie gegen
die Rechte der Stadt ließ sich schwerlich etwas
machen, trotzdem hielt er es für angebracht, die
mißliche Lage Heinrichs dem Kurfürsten bei Tafel
zu erzählen. Ter Kurfürst aber schien sich für den
Heinrich'schen Fall gar nicht zu interessiren, sagte
nur „dummes Zeug" und sprach sodann von etwas
Anderem.
Nach einigen Tagen kam Heinrich wieder zu dem
Oberstallmeister, und da dieser ihm keine günstige
Mittheilung zu machen vermochte, so sah er sich vor
seinem Ruin. Ter Verzweiflung nahe, ging Hein
rich ans der Wohnung des Oberstallmeisters, die
vor dem Wilhelmshöhcr Thore lag, die dortige
Allee entlang und überlegte, ob er nicht den Mendel
Gottschalck um seinen Tod iin Atlantischen Ozean
beneiden sollte, denn durste er das gekaufte Geschäft
nicht betreiben, konnte er all sein sauer erspartes
und an diesen Kauf gehängtes Geld für verloren
rechnen. In Gedanken versunken schritt er weiter
und immer weiter, sodaß er sich schon in der Nähe
des Wilhelmshöher Schlosses befand, als er erst an
den Rückweg dachte, der damals noch durch
keine elektrische Bahn erleichtert wurde. Ta be
merkte er plötzlich einen sechsspännigen Hofwagen,
der ihm langsam entgegen kam, und eine Strecke
vor demselben einen Offizier in Garde-Uniform mit
einer Dame spazierend. Er wußte wohl, wer das
war, denn das wußte jedes Kind — der Kurfürst
und seine Gemahlin. Heinrich blieb stehen, wie
es sich für einen wvhlzugerittenen Staatsbürger
ziemte, um seinen Landesherrn zu grüßen,' obwohl
derselbe nichts von seinem Handel wissen wollte und
ihn „dummes Zeug" genannt hatte — aber deshalb
war er seinem obersten Kriegsherrn doch nicht gram.
Wie der Kurfürst nun in seine Nähe kam, und er
den Hut abnahm, erhob sich plötzlich ein Wirbel
wind und entriß die Angströhre, die er wegen des
Besuchs bei dem Oberstallmeister an diesem denk
würdigen Nachmittag trug, seinen vor Aufregung
zitternden Fingern. Heinrich machte einen langen
Satz hinter ihr her, aber vergebens, sie kollerte
lustig den Staub m der Allee aufwirbelnd gerade
auf Serenissimus los und wäre Allerhöchstdemselben
jedenfalls zwischen die Füße gerathen, wenn Hein
rich sie nicht durch einen gewagten Sprung noch
im letzten Moment erwischt hätte. Nun stand er
lies gesenkten Hauptes, mit dem wiedergewonnenen
Cylinder fast die Erde berührend, da und wußte
gar nicht, wie seine Jagd nach dem „Bibi" so
überaus komisch gewirkt hatte. Er verharrte, einem
seltsamen indischen Heiligen gleich, noch eine Weile
in seiner außerordentlichen Haltung, bis ein Lakai
ihn ausstörte und nach seinem Namen fragte, da
Seine Königliche Hoheit wissen wolle, wer der ge
wandte Hutjongleur gewesen sei.
„Nun ist alles aus," dachte Heinrich, als der
Bediente sich entfernt hatte, „nun ist alles aus,
denn nachdem mein Cylinder dem Kurfürsten fast
zum Stolpern gebracht hat, wird er mir erst recht
nicht auf die Beine helfen wollen. O, ich Unglücks
exemplar !"
In seinem Ingrimm wollte er den Cylinder ans
die Erde schlendern, aber er besann sich noch zur
rechten Zeit. daß eine Angströhre ein sehr zarter
Gegenstand ist, und strich ihr die Physiognomie
wieder glatt, die bei der Jagd sehr struppig ge
worden war. —
In der Nacht hatte Heinrich die schrecklichsten
Träume. Bald drückte ihn der Alp in Gestalt von
sämmtlichen Kasseler Buchhändlern, bald segelte er
mit dem Mendel Gottschalck auf der Austria über's
ÜJJieer, aber statt daß der unglückselige Postdampfer
in Flammen aufging, ward er zum Todtenschiff und
der Mendel selbst zum fliegenden Holländer.
Schaudernd wachte Heinrich ans, und als er wieder
einschlief, träumte ihm gar, er stehe in der Wil
helmshöher Allee und statt seines Hutes kollere sein
Kops dem Kurfürsten vor die Füße . . . Erst mit
dem Morgengrauen entschwanden diese gräßlichen
Bilder, und Heinrich schickte sich an, den Tag über
wiederum Trübsal nach Noten zu blasen. In dieser
melancholischen Beschäftigung wurde er Nachmittags
durch den Eintritt eines Dieners in Livree unter
brochen. bei dessen Anblick ihn ein gelindes Frösteln
überschlich, denn er glaubte, es sei der Lakai von
gestern, der ihn nach seinem Namen gefragt hatte,
aber es war der Tiener des Oberstallmeisters, der
ihn zu seinem Gebieter beschied.
Heinrich kleidete sich an und begab sich dann
sofort zu seinem Gönner. Lachend trat ihm dieser
entgegen.
„Nun, Heinrich, wie wür's, wollen Sie Hofbuch
händler werden?"
Heinrich konnte nur Mund und Nase aufsperren.
„Wa — as? Ich — Hofbnch — Buch —
Hos — Hofbuchhündler?" stotterte er, den Würden
träger halb blödsinnig anstarrend.
„Jawohl, und kurfürstlicher dazu?"
Heinrich siel aus die Knie und rang die Hände.
„Wie komm' ich dazu? Wie komm' ich so
plötzlich dazu?! Eben noch — Austria — Gott
schalck — Tod im Wasser. — Ich wollte in die