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Einige Erinnerungen an die Warburger Studentenzeit
vor und nach dem Uedergang 1866.
(Schluß.)
In die letzte Zeit des „Akademischen" fiel auch
folgende Geschichte. — Das eine der beiden Corps
besaß einen schönen großen Hund „Bruno" oder
„Braun" geheißen. Eines Nachts kamen nun
3 — 4 Mitglieder des Corps auf ihrem Heimwege
an einem Hause in der Barfüßerstraße vorbei,
dessen zweiter Stock über den ebenerdigen etwas
herausgebaut ist und weiter hervorragte. Studiosus
M. , dem dies auffiel, machte die anderen daraus
aufmerksam, daß das Haus dem Einsturz drohe und
es ihre Pflicht sei, um Unglück zu verhüten, das
Haus zu stütze». — Das geschah, indem sich alle
mit dem Rücken gegen das Haus lehnten, und um
die Stützkraft zu vermehren, wurde der mitgebrachte
Corpshund auch au den Vorderpfoten in die Höhe
gezogen und gegen das Haus gestellt. Ta dieser
immer wieder herunterrutschte und von Neuem in
die Höhe gezogen werden mußte, wogegen er unter
Geheul Verwahrung einlegte, wie denn überhaupt
die Sache nicht ganz still verlief, so wurde der auf
Patrouille befindliche Universitätspedell P. darauf
aufmerksam und zeigte alle wegen Ruhestörung an.
Nach einigen Tagen standen die Sünder vor dem
Akademischen, welcher aus dem derzeitigen Rektor
— oder weil der eigentliche Rektor der Kurfürst
war, damals Prorektor — Professor der Medizin
N. und dem Universitätssyndikus P., beide schon
alte würdige Herren, bestand. Professor N. eröffnete
die Versammlung etwa mit folgenden Worten: :
„Meine Herren, es ist gegen Sie eine Anklage wegen
nächtlicher Ruhestörung erhoben. Ich werde Ihnen
das Anklageprotokoll verlesen lassen und mache Sie
daraus aufmerksam, daß Sie etwaige Irrthümer
darin alsbald berichtigen müssen. Ich ersuche Sie
darum genau Acht zu geben, da spätere Einreden
keine Berücksichtigung finden. — Bitte, Herr Syndikus,
lesen Sie vor."
Dieser erhob sich, putzte die Brille, räusperte sich
und las vor: „^.etnin, Marburg den und den. —
Erschien der Universitätspedell P. und gab 311 Pro
tokoll wie folgt:
Als ich in der Nacht von dem auf den aus
meinem Patrouillengange in die Nähe des in der
Barsüßerstraße, Ecke des Marktplatzes, gelegenen,
dem Bäcker B. gehörigen Wohnhauses Numero so
undsoviel kam" u. s. w., etwa vier enggeschriebene
Bogen lang, wobei hervorgehoben war, daß der
Lärm dadurch besonders groß gewesen sei, weil der
Herr Studiosus M. immer den Corpshund Bruno
mit den Vorderpfoten gegen das Haus gestellt
habe.
Nach Verlesung des Protokolls fragte dann
Professor N.: „Nun, meine Herren, haben Sie
etwas in der Anklage für unrichtig befunden, so
bitte ich dies jetzt 311 sagen." Blos M. hatte
etwas bemerkt und sagte deshalb: „Magnificenz,
cs hat sich, wie ich bemerkt zu haben glaube, aller
dings ein kleiner Irrthum in das Protokoll ein
geschlichen. Er ist zwar zur Sache nicht von
großem Belang, doch möchte ich ihn zur Ehre der
Wahrheit gern berichtigt wissen und da ich meiner
Sache nicht ganz sicher bin, so dürfte ich wohl
darum bitten, daß das Protokoll noch einmal vor
gelesen wird." Natürlich geschah das, und als
nun M. gefragt wurde, ob er nun den Irrthum
wisse, sagte er, er habe ja schon vorher betont,
daß es blos eine kleine Unrichtigkeit sei, die iu's
Protokoll gerathen sei, indessen sei er der Ansicht,
daß in einem so wichtigen Dokument, wie es ein
Aktenstück sei, auch kleine Irrthümer ausgemerzt
werden müßten u. s. w., bis Professor N. ganz
ärgerlich sagte: „Na, was ist cs denn nun eigent
lich'^" — „In," sagte Ai., „unser Corpshund ist
in dem Protokoll mehrmals unter dem Namen
Bruno ausgeführt, er heißt aber eigentlich Braun."
Die andern erhielten drei Tage Karzer, M. vier.
Wie bei der Berechtigung zum Einjährigen, so
wurde auch bezüglich der Ansprüche für die Im
matrikulation in der Uebergangszeit über Manches
hinweggesehen.
Einer meiner Freunde war früher Apotheker
gewesen. Er kam im Herbst 1865 nach Marburg,
um Medizin zu studiren und dann nach Amerika
zu gehen. Natürlich hatte er kein Neisezeugniß
und erhielt darum auch nicht die volle Matrikel.
Als wir nun preußisch geworden waren, wandte
sich G. mit einem Gesuch an's Kultusministerium
mit der Bitte um Erlaß des Nachweises eines
Maturitätsexamens. Er berief sich auf folgende
kurhessische Einrichtung: Mau konnte in Kurhessen
Lehrling bei einem Chirurgen werden; nach etwa
2 —3jähriger Lehrzeit erhielt man dann ein Lehr-
zeugniß, das man — ich glaube blos — dem
Amtsphysikus vorlegen mußte, der dann ein kleines
Examen in Latein u. s. w. anstellte. Damit be
zogen dann diese „Chirurgen" die Universität, wo
sie Chirurgie und — ich glaube — auch Geburts
hilfe studirten. Nach einem weiteren Examen
meldeten sie sich dann beim Militär, wo sie als
sogenannte Kompagnie-Chirurgen angestellt wurden.
Dann wurden sie zu weiterer Ausbildung auf das
Landkrankenhaus kommandirt und die Fähigen von