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Friedrich befahl, es vorzulassen, und bald darauf
erschien ein schwarzgekleidetes Frauenzimmer bürger
lichen Standes, eine seine liebliche Gestalt, über
deren bleiche, zartgeschnittene Züge tiefes Seelenleid
einen besonderen Reiz breitete, und aus deren dunklen
Augen allgewaltiger Zauber sprach.
„Was ist Ihr Begehr, schönes Kind?" fragte der
Prinz leutselig.
„Gnade!" lispelte das Mädchen und sank vor
dem Prinzen in die Kniee. „Gnade, Durchlaucht,
für den Grenadier Hellwig!"
„Wer ist Sie, die es wagt, für den Fahnen
flüchtigen zu bitten?" fragte der Prinz, und der
Ton seiner Stimme schien ein noch wohlwollenderes
Interesse zu verrathen.
„Ich bin die Agathe Merkel, um derentwillen
der Unglückselige davon gegangen war, Durchlaucht!"
seufzte Agathe und schlug vor dem durchdringenden
Blicke des Prinzen die Augen nieder. Diese Ver
wirrung verlieh ihren Zügen neue Anmuth, so daß
der Prinz, der das arme Kind mit steigendem Wohl
wollen betrachtete, dem neben ihm stehenden Oberst
leutnant von der Boyneburg, den seine Soldaten
nur den „alten Bemelburg" nannten, zuflüsterte:
„Gelt, Alterchen, so ein Gesichtchen könnte Ihn auch
schon einmal aus einige Tage fahnenflüchtig machen?"
„Durchlaucht", antwortete der alte Haudegen,
„lassen wir lieber die Probe! Bomben und Granaten!
jetzt erst begreife ich den Burschen!"
„Boyneburg, was meint Er, wenn Wir den
Burschen begnadigten?"
Der greise Haudegen schmunzelte, indem er mit
Gönnermiene zu dem Mädchen hinüberblickte: der
Prinz aber fuhr in seiner Rede fort: „Aber Strafe
muß sein, eine recht empfindliche Strafe. Haha,
Wir haben es! Unser'Spruch soll dem Urtheil
weiland König Salomos nicht allzuviel nachstehen!"
Ein jovialer Anflug erheiterte bei den letzten Worten
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Die ältesten Beziehungen der Land
grafen von Hessen zu den Hohenzollern
fallen in die Zeit, in welcher die letzteren noch ein
fache Burggrafen von Nürnberg waren. I o h a n n VI.
von Nürnberg, Friedrich's Ill. Sohn, welcher
im Jahre 1300 kinderlos starb, war mit Agnes,
der Tochter Landgraf Heinrich's 1. von Hessen
vermählt; Margarethe von Hohenzollern, Frie
drich's V. von Nürnberg Tochter und Frie
drich's VI. Schwester, wurde 1383 die Gemahlin
Landgraf Hermann's des Gelehrten, des Nach
folgers seines Oheims Heinrich 11. des Eisernen.
die schönen Züge des Prinzen; dann sprach er, zu
der Kleinen gewandt, weiter: „Stehe Sie auf,
Jungfer, und höre Sie Uns an. Wir haben be
schlossen, den Malefieanten zu begnadigen, jedoch
nur unter der Bedingung, daß die Strafe umgewandelt
wird. Ihr schönes Gesichtchen hat den Soldaten
zur Fahnenflucht verleitet. Sie ist also die Mit-
schuldige des Grenadiers und als solche ebenfalls
strafbar. Sie wird also die Strafe zur Hälfte zu
tragen haben. Wir ändern daher den Spruch des
Kriegsgerichts dahin ab, daß Sie als Mitschuldige
mitgestrast wird; demgemäß sprechen Wir den
Grenadier Hellwig unter der Bedingung frei und
los, daß Sie ihm noch in diesen! Augenblicke als
Ehefrau die Hand reicht! Will Sie das?"
Agathe erröthete bis zur Halskrause. Sie wollte
sprechen, sie stammelte und brachte doch keine zu
sammenhängenden zwei Worte über die Lippen.
Das war etwas für die prinzliche Laune. Einen
Augenblick noch weidete der Prinz sich an der
Verwirrung des Mädchens, dann schnitt er jedes
Weitere mit den Worten ab: „Nun, will Sie,
Mademoiselle, oder will Sie nicht? Es bedarf
blos des Wörtchens Ja oder Nein, und in Ihrer
Hand liegt nur noch einen Augenblick lang Leben
oder Tod des Verurtheilten!"
Da hauchte ein leises „Ja" über die bebenden
Lippen des Mädchens, und noch tiefer neigte es das
hocherröthete Köpfchen.
„Bravo! So ist es recht! — He, Boyneburg,
wer hätte vor vier Wochen gedacht, daß dieses
Trauerspiel heute so wunderlich mit einer Hochzeit
schließen werde?! Aber noch sind wir nicht am
Ende, die Ueberraschung kommt noch. Lassen Sie
den Feldgeistlichen herbitten und alle sonst nöthigen
Vorbereitungen zur Trauung sofort treffen, auch
den Grenadier Hellwig Uns vorführen!"
(Schluß folgt.)
^
iö neuer Zeit.
Friedrich V. hielt aus seinen Schwiegersohn so
große Stücke, daß er in einem Hausgesetze von
1387 verfügte, daß in seinem Lande ohne die
Einwilligung des Landgrafen keine territorialen
Veränderungen vorgenommen werden sollten. Be
sonders nahe schlossen sich aber die beiden Schwäger
Hermann der Gelehrte und Friedrich VI. an ein
ander an. Sie reisten gemeinschaftlich auf die
Fürstentage, welche der Absetzung des Königs
Wenzel vorausgingen, sie wohnten beide den Be
schlüssen der Fürsten vom 1. Februar 1400 zu
Frankfurt a. M. bei, wonach der zu wählende