316
schöne Terrasse noch wenig besucht. Hier und da
saßen im Schatten der dicklaubigeil Kastanien ver
einzelt Gäste, und nur an einem Tische, von wo
man eine prachtvolle Aussicht über die Aue und
in das Fuldathal genoß, war eine heitere Gesell
schaft vereinigt. Auf diese schritt mein Schwager
zu, grüßte und ließ sich aus einem der Garten
stühle nieder. Die Herren, die er hier traf, ge
hörten bis auf zwei, von denen der eine, dem
Aeußern nach, ein Bürger aus einem der um
liegenden Landstädtchen zu sein schien, der Tafel
runde an, mit der er dieses Stelldichein verab
redet hatte.
Kaum hatte er Platz genommen, so wurde auch
die Unterhaltung auf das Spazierstöckchen ge
bracht, das der neue Ankömmling mechanisch
zwischen den Knieen drehte, und das wegen seiner
Niedlichkeit bereits viel von sich reden gemacht
hatte.
Mein Schwager vermied es taktvoll, wo er
konnte, über meine Angelegenheit zu sprechen.
Das wußte man wohl, aber trotzdem man es
wußte, und trotzdem er auszuweichen suchte, ward
sie gerade heute mit Vorliebe und Beharrlichkeit
zum Gegenstand der Unterhaltung gemacht und
so lange gewitzelt und an ihm herumgeprickelt,
bis er außer sich gerieth und seinen Worten die
Zügel schießen ließ.
Das hatten die losen Vögel gewollt und wäre
er weniger arglos gewesen, so hätte seinen Augen
nicht entgehen können, wie sie sich mit den Ellen
bogen fort und fort gegenseitig untereinander
anstießen und sich endlich schelmisch zulächelten,
als sie sahen, daß ihre Neckereien verfingen.
Wie schon gesagt, mein Schwager ward Feuer
und Flamme, und da er als echter Kasseler
Junge beim Bierglase gerne eine „große Schnutte"
riskirte, so ging es bald an ein Schwadroniren,
daß man hätte glauben mögen, er hätte den
Hehle mit seiner ganzen Sippe zu Pastetensteisch
verhauen, wenn — er sie gehabt hätte.
Während mein Schwager sich also ereiferte,
gewahrten seine Freunde, wie der eine der beiden,
die nicht zu ihrer Tafelrunde gehörten, den
andern zum Austrinken animirte und zum Fort
gehen drängte. Soeben hatte mein Schwager
mit dem Stocke auf den Tisch geschlagen, daß
die Gläser erklirrten, als einer der beiden und
zwar der, der den andern zum Austrinken und
Gehen animirt hatte, von seinem Sitz aufstand,
sein noch halbgefülltes Glas stehen ließ und auf
und davon ging und das so rasch, daß sein
Gefährte kaum Zeit fand, ihm zu folgen.
Ein unbändiges Gelächter der Tafelrunde er
schallte hinter den beiden her, bis einer bemerkte:
„Ausgezeichnet! Das nenne ich abgeschwirrt
worden sein."
Mein Schwager schaute verblüfft hinter dem
Abgeschwirrtwordenen drein und sagte lachend:
„Ihr Hallunken!" indem er sein Glas erhob und
leerte, um seine Ueberraschung zu verbergen. —
Es war der Quartiermeister Hehle gewesen, der
sich in bürgerliche Kleidung geworfen hatte, um
eiumal eiuen schönen Sommernachmittag auf der
Terrasse zu verleben, der ihm jedoch durch den
Anblick von diesem meinem Spazierholz gründlich
verleidet ward.
Seit dieser Stunde hatte er einen unglaublichen
Respekt vor dem Stocke und dessen Träger. Wo
er die beiden in der Ferne erblickte, war darauf
zu schwören, daß er ausbog. Wie nachhaltig
aber dieser Respekt noch heute sich zeigt, das
habt Ihr vor einer Weile gesehen, als ich ihm
den Stock vor der Nase balanciren ließ. Er
hat ihn sofort wiedererkannt; denn ich sah, wie
er bei seinem Anblick erbleichte, und daß er ver
duftete, darin offenbart sich die Macht dieses
niedlichen Zauberstäbchens. —
V.
Feigheit ist fast innner mit Hinterlist gepaart.
Feiglinge, die die Macht haben zu schaden,
können es nicht unterlassen, hinterrücks Unheil
zu stiften; das sollte ich noch zuguterletzt er
fahren. Das Standrecht hatte gesprochen! Trotz
aller Ausflüchte und trotz aller Beschuldigungen
meiner Person, die meine Gegner vorbrachten,
fiel der Urtheilsspruch doch so, wie er von Gottes
und Rechtswegen nicht anders fallen konnte.
Sämmtliche Reservisten, die in ihrer Heimath im
Hanauischen, Fuldaischen, Schaumburgischen,
Schmalkaldischen und im Oberhessischen gerichtlich
vernommen waren, hatten so ausgesagt, wie ich
es mir nur wünschen konnte. Diese Hin- und
Herschreibereien nach allen Ecken und Kanten
des Hessenlandes aber brauchten Zeit und so floß
ein Vierteljahr hin, bis endlich der Spruch stand
rechtlich gefällt werden konnte. Er lautete für
den Abgeschwirrten auf vierzehn Tage strengen
Arrest, abwechselnd bei Wasser und Brot, auf
vier Tage desgleichen für den Urheber der ganzen
Geschichte, den Korporal Berner; mich aber be
dachte ein Corpsbesehl mit zwei Tage Gelind
wegen nicht militärischen Benehmens. Das hatte
ich davon, daß ich einen Menschen, der nicht das
bunte Tuch auf dem Leibe trug, meinen Schwager,
in Militärangelegenheiten eingeweiht hatte.
Nach dem Wortlaute der Allerhöchsten Ordre,
die Demobilisirung betreffend, hätte man mich
nach der Verurtheilung meiner Gegner und meiner