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Zur Abwehr!
Von Dr. Otto Ger la nb, Hildesheiin.
ein Mann wie Beyschlag Erinne-
HM rangen ans seinem Leben veröffentlicht*),
T so bedarf es gar keiner Bemerkung, dass
uns damit etwas Hervorragendes, ein hoher
geistiger Genuß geboten wird, und da der Herr
Verfasser als geborener Frankfurter viele Be
stehungen zu Hessen hatte, so bietet das Buch
selbstverständlich auch vieles für beide Hesse»
Interessantes. Auch die kirchlichen Kämpfe, die
Beyschlag während der Ausübung des Pfarramts
nicht erspart worden sind, klingen lebhaft an die
Kümpfe an, welche auch unsere knrhessische Kirche
in jener Zeit lebhaft bewegt haben.
Aber der geehrte Herr Verfasser wolle es nicht
verargen, wenn wir als Kurhessen in einigen
Punkten seinen Darstellungen zu widersprechen
gezwungen sind.
So erzählt er Seite 132, als er im Oktober
1842 durch Kassel reiste: „Wir hatten einen
halben Tag zu warten, besuchten die schöne Ge
mäldesammlung, hatten aber im klebrigen von
der kurfürstlichen Residenz üble Eindrücke. Auf
den Straßen schleiften noch Strafgefangene ihre
Kugeln, ans dem Schloßplatz stand das Marmor
bild des landesherrlichen Seelenverkäufers aus
dem vorigen Jahrhundert mit der Inschrist
Pater patriae". Hier sind ihm zwei Irrthümer
in einem Satze begegnet.
Richtig ist es, daß die sogenannten Eisen
ge f a n g e n e n damals noch die Straßen fegten, die
militärischen Wachtlokale reinigten n. s. w. und dazu
über die Straßen geführt wurden, wobei sie die
Eisen an den Beinen trugen, an denen sie in
den Zellen angeschlossen werden konnten. Kugeln
schleppte aber keiner nach, das wäre auch bei den
zum Theil weiten Entfernungen, durch die sie
geführt wurden, und den Arbeiten, die sie zu
verrichten hatten, unmöglich gewesen. Das Kugel-
schleppen, auch an öffentlichen Orten, kam in
anderen Staaten vor, in Kurhessen nicht.
*) Bey s ch lag. Willibald: Ans wcimm Leven.
Erinnerungen und Erfahrungen der jüngeren Jahre.
Halle a. S. 1896.
lind dann wieder der landesherrliche
Seelenverkäufer, dessen Standbild der Herr
Verfasser ans dem Schloßplatz. d. h. ans dem
Friedrichsplatz, gesehen hat! Es mag ja
sein, daß dem Herrn Verfasser damals als
Student die Sage von dem angeblichen Verkauf
der Hessen nach Amerika noch geläufig war, in
zwischen aber ist so vielmal das Gegentheil nach
gewiesen worden, daß man wohl hätte annehmen
dürfen, in einem so hervorragenden Werke dieser
kränkenden Fabel nicht wieder begegnen zu müssen.
Wie oft soll mair denn nachweisen, daß der Land
graf gerade durch seine Landstände und trotz seiner
persönlichen Abneigung veranlaßt worden ist, den
Subsidienvertrag mit England abzuschließen, wie das
verschiedene andere deutsche Staaten auch thaten;
würde uns ein solcher Vertrag, Gott sei Dank,
auch heute unglaublich erscheinen, den damaligen
Anschauungen entsprach er, und man darf
Menschen vergangener Zeiten nur nach den Ver
hältnissen beurtheilen, unter denen sie lebten,
wenn man gerecht urtheilen will. Den Namen
„.Pater patriae“ — der Vater des Vaterlandes —
verdiente aber Landgraf Friedrich II. ohne
jede Schmeichelei. Wohl war er in seiner Jugend
durch die Jesuiten, denen er in Paris in die
Hände gerathen war, zum kkebertritt zur katho
lischen Religion veranlaßt worden, sein Land aber
hat er dies nie empfinden lassen. Dagegen hat er sich
die größte Mühe gegeben, die schweren Wunden,
welche der siebenjährige Krieg Hessen geschlagen
hatte, zu heilen und sein Land überhaupt möglichst
zu fördern, durch Hebung der Industrie, durch
Förderung der Landwirthschaft, durch Errichtung
höherer Lehranstalten, z. B. des Lyceum Fri
st erician um und der Akademie der bil
denden Künste, durch Anspornung zu ge
schmackvollen Bauten, wobei er selbst mit gutem
Beispiel voranging, durch Gründung des Kasseler
Museums, durch Wiederanbau der im Krieg
verödeten Ländereien n. s. w. Ein solcher Mann
verdiente allerdings die Bezeichnung Vater des
Vaterlandes. Daß er nach den damals Herr-