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Was nun die einzelnen Arten des Handels
anlangt, so mußte bei Viehhandel zwischen
Juden und Christen entweder ein sogenanntes
Viehhandelsprotokoll bei Gericht aufgestellt werden,
oder die Beschaffenheit des Handels mußte aus
einer vom Ortsvorstand (Greben) und zwei
Zeugen unterschriebenen Urkunde ersichtlich sein.
War die Aufstellung einer derartigen «Schrift
unterlassen worden, so konnte eine Klage aus
dem Geschäfte nicht stattfinden. (J.-O. vom
7. April 1772.)
Garn zu kaufen waren die Juden laut Re
gierungsreskript vom 22. Juni 1633 auf allen
Jahrmärkten innerhalb der Stadt und außerhalb
derselben zu jeder Zeit berechtigt, da das Pri
vileg der Leinweberzunft allein auf die Stadt
sich bezog. Dieser Garnhandel wurde durch die
Konzession an die Schutzjuden vom 20. Juli 1656
nach folgender Bestimmung festgesetzt: Auf
richtiger Handel des Garn- und Lederkaufs wird
von dem landesfürstlichen Beamten bis auf
anderweite Verordnung mit folgenden Einschrän
kungen zugestanden. Die Arbeiter der Leine
weberzunft sollen gehalten sein, ihre Arbeiten zu
vörderst dem Zunftmeister anzubieten. Fand sich
dann innerhalb 24 Stunden kein Käufer aus
der Zunft, oder wollte sie niemand zu billigem
Preise annehmen, so stand allen Christen oder
Juden der Kauf frei. Wollte jemand auf seine
Arbeit Geld im Voraus nehmen, so hatten auch
hier die Zünfte den Vorzug, wenn sich aber
binnen 24 Stunden auch dazu kein Zunftmit
glied bereit erklärte, so durfte Jude oder Christ
es vorschießen. Aehnlichen Inhalts war auch
die Verordnung von 1749 in Bezug aus den
Garnhandel.
(Fortsetzung folgt.»
-in
erteres vom alten Kaffel?
Von Jeanette Bramer.
^Meder Fremde muß von der „Schönen Aussicht",
Jj Kassels herrlichster Straße, entzückt sein.
! Ungehemmt schweift das Auge hin über
die Wipfel der Aue nach den jenseitigen Höhen.
In vornehmer Ruhe, von zierlichen Anlagen
umgeben, steht das Haus da, welches die Perle
unserer Stadt, die Bildergalleric, in seinen
schönen Räumen birgt. Das alte Tempelchen
schaut verjüngt von seiner kleinen Anhöhe herab,
und seine offene Halle bietet freundlichen Einlaß.
Eine herrliche Brücke verbindet den Weinberg
mit der „Schönen Aussicht" — kurzum: Kein
Unparteiischer wird der Gegenwart, im Vergleich
mit der Vergangenheit, die Palme vorenthalten! —
Wie doch die Nachtigallen einst in den wild
wuchernden Gebüschen sangen, die sich dicht an
das Eisengitter schmiegten und zwischen dessen
Lanzen hindurchstrebten! —
Durch Gebüsch und Gitter, welche den „Irr
garten" von der „Bellevue" abschlössen, gab's
wohl hie und da einen Blick auf unbetretene
Pfade, die im grünen Dämmer sich hinunter
schlängelten und der Phantasie ein reiches Feld
boten. —
Das lange nüchterne Gebäude des Marstalles
an der Seite unserer Bellevue, die steil zur
Frankfurter Landstraße herabfällt, paßte schlecht
*) S. „Hessenland" 1895, Nr. 23 und 24.
in die poetische Anmuth der schönsten Straße.
Aber die graue Dielenwand, welche sich droben
um das Tempelchen herumzog, hatte eine bessere
Berechtigung; es war, als sei die Sage mit
ihrem Spinnwebengewande vorübergehuscht und
das zerrissene Gewebe wäre dort hängen geblieben.
lind nun gar der kleine Kuppelbau selbst!
Wie fest verschlossen von verwitterten Latten
waren seine Eingänge; wer aber mit den richtigen
Angen hinsah, der gewahrte den feinen Schleier
des Märchenhaften über das alte Bellevue-
Tempelchen ausgebreitet. —
Damals hätte niemand eine Verbindungs
brücke nach dem Weinberge auch nur geträumt!
Ein Geisterweben hin und her gab's wohl, und
wenn die Mondesstrahlen geheimnißvollc Wesen
zu kurzem Sein erweckten, wenn drüben auf den
Felsenkellern bei Peilert und Eissengarthen längst
feierliche Stille dem frohen Leben gewichen war,
dann bewegte sich lautlos der schwarz verhängte
Todtenwagen mit düsterni Gefolge durch die
schweigende Straße. Der Posten am Schlosse
stand erstarrt; erscholl aber endlich von bebender
Lippe sein: „Werda", dann verschwand die Er-
schemung in des Tempels Nähe!
Die neue Zeit hat den Märchenzauber ver
wischt, ihr Sinnen und Streben wendet sich dem
Realen zu, die Losung ist „Comfort". Die
Poesie grasbewachsener Plätze findet kein Der-