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Erzählungen der drei Männer im Backofen.
Mitgetheilt von Wilhelm Ben necke.
(Schluß.)
„Nun geschah es zu jener Zeit," fuhr der Sohn
Wildenberg's fort, der mir indessen wahrscheinlich
Mittheilungen gemacht hatte, die mit jenen nächt
lichen Vorgängen in gar keinem Zusammenhang
standen, denn diese waren mir schon lange durch
eine handschriftliche Ueberlieferung bekannt, „nun
geschah es zu jener Zeit, daß der hochberühmte
Kapellmeister Spohr meinem Vater die Partien
des .Papagenv' und des .Leporello' in den
Werken des unsterblichen Wolfgang Amadeus, in
welchen er, wie Sie ja aus eigner Anschauung
wissen, ganz und gar aufgegangen war, abholen
ließ und dieselben dem Franz Hauser zutheilte.
Dies machte meinen Vater rabbiat, obwohl ihm
seine besten Freunde erklärten, daß Hauser als
Sänger einen größeren Anspruch auf diese Partien
habe, als er in seiner Haupteigenschaft als Komiker.
Alles Zureden half jedoch nichts. Er konnte die
tödtlichc Beleidigung, die Spohr, wie er behauptete,
seinem Künstlerstolz zugefügt hatte, nicht vergessen,
und das Entsetzliche griff Platz. Sowie er Spohr
erblickte, schwoll ihm die Galle, voll Anmuth und
Grimm ging er dann herum und versicherte es
Jedem, der es hören wollte: .Den habe ich im
Magen!' Dies war zu einer stehendeu Redens
art bei ihm geworden, zu welcher die Einen nickten,
die Andern lachten, aber er blieb dabei, und zu
letzt bildete er sich wirklich ein, er habe Spohr
verschluckt, und dieser lasse ihm keine Ruhe mehr.
Es war eine fixe Idee, die ihn Tag und Nacht
auf das Fürchterlichste peinigte und marterte,
denn Spohr war ein Riese, und ihn im Leibe
zu haben, keine Kleinigkeit. Infolgedessen trat
Gedüchtnißschwäche bei ihm ein, denn seine Idee
nahm ihn ganz und gar in Besitz, er konnte
seine Rollen nicht mehr lernen, kam unsicher auf
die Proben und erregte ärgerliche Störungen.
Daß er aber bereits wahnsinnig war, vermuthete
niemand, nur wir zu Hause wußten um das
Elend. Endlich aber trat es auf der Bühne unge
schminkt, in scheußlicher Wirklichkeit hervor. Mitten
in einer Szene, wo er sonst zum fröhlichsten Ge
lächter hingerissen hatte, stand er plötzlich da mit
starrem Blicke und offenem Munde und konnte
nur noch lallend hervorbringen: ,Hm? was? Hm?
was?', bis er unter den verzerrtesten Grimassen
abgeführt wurde. Schrecken und Staunen hatte
während dieses überraschenden Auftritts im
Publikum geherrscht, die Damen bogen die
Köpfe zurück und hielten sich die Hände vor
die Augen, um nicht in das Gesicht sehen
zu müssen, aus welchem der Wahnsinn glotzte.
Einige schrieen laut auf intb fielen in Ohnmacht,
unter ihnen auch die Frau Generaldirektorin,
deren Gatte den armen Geisteskranken erst vor
wenigen Tagen wegen seiner Gedüchtnißschwäche
mit einigen dreißig Thalern in Strafe genommen
hatte. Seit jenem Abend war sein Leiden offen
bar geworden, und es geschah alles zu seiner Be
ruhigung, aber keine Macht der Welt konnte ihm
den Glauben nehmen, er habe den Louis Spohr
leibhaftig im Magen. Unter diesen Umstün
den bekam er den Abschied und aus besonderer
Gnade, da er Jahre lang ein Liebling des Publi
kums gewesen war, zur Benefizvorstellung .Die
sieben Mädchen in Uniform', worin er als letzte
Rolle den .Sansquartier' gab, mit welchem er
so oft zur Erheiterung, zur Belustigung der Zu
schauer beigetragen und dafür den reichsten Bei
fall empfangen hatte. Es ist wohl eine Selten
heit zu nennen, daß ein von veritabelem Wahnsinn
befallener Schauspieler, bevor er in das Irrenhaus
wandert, noch in seinem Benefiz spielt, um sich
in aller Form von dem hochgeneigten Publikum
zu verabschieden ..."
Der Sohn Wildenberg's schwieg.
„Und kam Ihr Vater sofort in eine Kranken
anstalt?" fragte ich.
„Nein," erwiderte er, „wir wanderten erst noch
eine Weile umher, dann ging es nicht anders
in Hameln kam er in's Irrenhaus. . . Er starb
dort erst nach einigen Jahren. . . Aber nun
den letzten Schluck, und dann die Anzeige entworfen
von meinem Eintreffen allhier, und daß ich beit
.Sansquartier' spielen will, dieselbe Rolle, welche
mein Vater u. s. w. u. s. w. Das wird, das muß
Effekt machen! Ihrer Hilfe kann ich doch wohl
versichert sein?"
Die Vorstellung war zu Ende, die Zuschauer
strömten in's Freie, und der Theaterkonditor
machte Miene, das Zimmer zu schließen. Wir
gingen hinaus, und ich hatte Mühe, von meinem
neuen Bekannten loszukommen. Die nächsten
Tage suchte ich in den Zeitungen nach der von
ihm in Aussicht gestellten originellen Anzeige,
fand aber nichts Derartiges vor."
Der Musiker machte eine Pause
„Haben Sie den Mann mit dem rothen Hals
tuch denn nicht wieder gesehen?" fragte der eigen
sinnige Herr.