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Landwehren nach Hause zu schicken, den Offizieren
elende Wartegelder zu geben, Zöpfe und Puder
einzuführen rc., so gingen damals viele jüngere
Offiziere, besonders von der Artillerie, in fremde
Dienste, auch nach Nord- und Süd-Amerika,
Haiti rc.
Im Anfange war das Verhältniß etwas
gespannt; die westfälischen Offiziere und die
alten Herrn standen sich wechselweise im Wege.
Später glich sich das mehr aus; man kannte
sich vor 1806 und wurde wieder bekannt. Die
ersteren legten ihre hochfliegenden Hoffnungen
aus der westfälischen Periode bei Seite, die
anderen beschicken sich, daß ihre Zeit vorüber sei.
Spezifische und allgemeine deutsche Ideen waren
wenig bemerkbar, so sehr man auf den Franzosen
schimpfte, aber eine allgemeine kurhessische Miß
stimmung nahm bald Platz, und wer fortgehen
konnte, der ging, als der Zopf von 1806 in
seiner ganzen Länge und Breite sich ausdehnte.
Täglich fragte man sich nur: wie lange kann
denn der Kurfürst noch leben?
Was den moralischen Zustand der Offiziere an
betraf, so war derselbe in den höheren Chargen, mit
wenigen Ausnahmen, gut. Es waren viele arge
Genußmenschen darunter, aber es fehlte an Geld,
man blieb zu Hause, und so wurde man ordentlich.
Von den Kapitänen und Lieutenants ließ sich
nicht allgcinein dasselbe behaupten. Acht bis
neun Jahre des Krieges und die furchtbaren
Schicksale in Spanien und Rußland hatten viele
gänzlich verwildert. Jetzt sollten sie nur exerziren
und auf Wache ziehen und Hunger leiden; sie
wußten mit der Zeit nichts anzufangen und
viele versuchten den Kummer und die Lange
weile durch Trinken zu vertreiben. Es bildete
sich, wie überall, erst eine anständigere Art von
Friedenssoldaten heran, die eben freilich den Krieg
wenig oder gar nicht kannten.
Der Kurfürst starb, trotz aller Gebete und
Flüche, nicht bald, sondern lebte noch ganze sieben
Jahre, im Kampfe des Alten gegen das Nene
unbesiegt. Anfangs verhöhnte und verlachte ihn
alle Welt, später ließ man ihn ruhig gewähren. —
Die Forderung der Verbündeten an den Kur
fürsten , binnen zwei Monaten 24 000 Mann
in's Feld zu stellen, wäre für die Kasse des
Kurfürsten nicht zu hoch gewesen, für das an
Material und Mannschaft ansgesogene Ländchen
war sie es aber. Kredit war da, aber der Kur
fürst, der gewohnt war, nur für Subsidien zu
rüsten, erfuhr zu seinem Mißvergnügen, daß
diese Zeiten vorüber seien und er nichts von Eng
land erhalten werde. Alles Kriegsmaterial,
was sich noch vorfand, hatten die Russen schon
entführt; es war nicht viel dagewesen, nachdem
der russische Feldzug alles verschlungen hatte
und der Rest in Sachsen verloren ging. Gewehre
lieferten die Schlachtfelder von Leipzig und Hanau;
man nahm, was sich anbot. Die im Januar
1814 marschirende erste Kolonne ging in Bauern
kitteln ab und erhielt zum Theil erst in Koblenz
Gewehre. Bei der Ausrüstung wirkte es sehr
hinderlich, daß der Kurfürst zugleich seine alten
Haustruppen organisirte. An wirklich kriegs
tüchtiger Mannschaft war Mangel, wenn auch
alle alten Soldaten von 1806, alles von 17
bis 40 Jahren aufgeboten wurde. In Spanien
und Rußland war beinahe alles umgekommen,
in Sachsen auseinander gesprengt worden. Die
beiden westfälischen Husarenregimenter waren mit
Roß und Mann in der österreichischen Armee,
während nach der Schlacht von Leipzig Vieles
in die preußischen neuen Regimenter eintrat, auch
die russisch-deutsche Legion viel absorbirt hatte
(1849 im badischen Feldzuge waren vier preußische
Brigadekvmmandeure: Webern, Brunn, Cölln
und Rommel geborene Hessen, früher westfälische
Offiziere). Man zog alles ein, was dienen konnte.
So z. B. erhielt der Grenadier Johannes Reuber
aus Niedervelmar, der 15 Jahre alt im Jahre
1776 mit nach Amerika mußte, erst 1816 seine
Entlassung.*) Die Leute kamen mit gutem
Willen, da sie aber zum Theil halbe Kinder,
schlecht und dünn gekleidet, mitten im Winter
hinansgetrieben wurden, so füllten sie die Lazarethc,
wo die meisten starben. Liegt doch der Rapport
eines hessischen Chirurgen vor, wonach im Lazareth
zu Koblenz, wohin man Kranke auf der Mosel
hinabgebracht hatte, allein 100 Mann, mit
wenigen Ausnahmen vom Regiment „Kurprinz",
dort starben. Nach dem ersten Feldzuge, wo
man die Landwehrregimenter reduzirte und die
Leute Soldaten geworden waren, waren auch die
Regimenter tüchtig und zeigten das im zweiten
Feldzuge.
Sehr übel war es, daß nach dem alten hes
sischen Rekrutirungsgesetz die Söhne der schrift-
süssigen Familien, des Adels und der Bürger
aus den Städten Kassel, Marburg, Hanau,
Ziegenhain, Schmalkalden, Karlshafen und Rinteln
militärfrei waren; es fehlte dadurch der Stamm für
gute Unteroffiziere, und es war wenig Ersatz,
daß sie in die beiden freiwilligen Jägerregimenter
zu Fuß und zu Pferd eintraten, wo man sie
als halbe Soldaten behandelte. — Da nach dem
Dienstgcsetze bis zum Jahre 1821 jeder dienen
*) Vgl. „Hessenland" 1893, Nr. 16, 17; 1894, Nr. 12
bis 14, 24.