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älteren Kasselanern bekannten Stallmeisters Credä mit
bestem Erfolg absolvirt. verging fast kein Tag, an
welchem er nicht auf den Pferden seines Oheims, des
obengenannten Generals, seinen Ritt gemacht hätte. So
groß war sein Eifer, sich immer mehr in dieser schönen
Kunst zu vervollkommnen, daß er sich gleich nach dem
Nachmittagsunterricht das Pferd auf dem Hofe des da
maligen interimistischen Gymnasialgebäudes vorführen
ließ, sich auf dasselbe schwang und dann unter dem Bei
fallklatschen seiner Genossen in einem kurzen Galöppchen
davon ritt. Hütte Freund von Starck lediglich seiner
Neigung folgen können, so wäre er sicher nichts anderes
geworden als ein flotter Reiteroffizier. Da dies aber die
Umstände nicht zuließen, so folgte er dem Rath seines
Vaters und beschloß Jurisprudenz zu studiren.
Mein Freund war ein gewissenhafter fleißiger Schüler
des Gymnasiums und durchlief daher dasselbe anstandslos,
bestand auch das Maturitütsexamen glücklich.
Hierauf gingen wir selbdritt — nämlich mit unserem
gemeinsamen Freund, dem vor wenigen Jahren als Reichs
gerichtsrath verstorbenen von Meibom — auf unsere
Landesuniversität Marburg. Wir hatten das Glück, dort
noch die Vorlesungen eines der bedeutendsten damaligen
Pandektisten, Karl Adolph von Vangerow, welcher
bald danach einem Ruf nach Heidelberg folgte, besuchen
zu können.
In diesem Kolleg wurde nur der Text zu den in
Vangerow's Compendium enthaltenen Noten nachge
schrieben, im Uebrigen trug Vangerow frei vor, d. h.
er las nicht ab. Das an sich wegen seiner Trockenheit
verrufene Pandektenstudium wußte uns der verehrte Lehrer
durch Darlegung seines edlen Kerns, insbesondere auch
in ethischer Beziehung, genießbar zu machen. Sein sehr-
klarer Vortrag gab dem Gesagten eine warme persönliche
Färbung, welche zuweilen so eindringlich war, daß seine
Hörer sich gar manchen seiner durch erhobenen Brustton
als besonders wichtig markirten Aussprüche bis in das
hohe Alter in treuem Gedächtniß bewahrt haben.
Wir besuchten dies Kolleg regelmäßig, vergaßen aber
darüber nicht, an den Freuden, welche die Universität
dem jungen Studiosus bietet, in mehr oder weniger
eifriger Art und Weife Theil zu nehmen. Freund
von Starck wurde wegen seiner sehr einnehmenden Persönlich
keit von verschiedenen Seiten aufgefordert, in ein Corps
einzutreten, verhielt sich aber andauernd ablehnend, weil
ihn einer seiner mütterlichen Verwandten in Hanau, auf
den er große Stücke hielt, aus eigener Erfahrung dringend
vor einem solchen Schritt wegen der möglichen Folgen
desselben gewarnt hatte. Statt dessen suchte er seine Er
holung in dem Verkehr mit den damals eben nicht sehr-
zahlreichen gastfreien Professoren- und Beamtenfamilien,
in welchen er als ein gewandter anspruchsloser Gesell
schafter stets freundlich aufgenommen wurde.
Nachdem wir ein und ein halb Jahr in Marburg
zugebracht, begaben wir uns, wieder selbdritt, — da an
die Stelle von von Meibom, welcher nach Berlin ging, ein
anderer gemeinsamer Freund, der als Justizbeamter in
Oberkaufungen leider sehr früh verstorbene Karl
Willens, trat — nach Göttingen, insbesondere aus dem
Grunde, um dorten dem vorzüglich anregenden Pandekten-
Praktikum des berühmten Handelsrechtslehrers Professors
Th öl Theil zu nehmen. Wir erhielten jedesmal einen
neuen Rechtsfall zur schriftlichen Bearbeitung, über
welchen sich dann nicht blos im Kollegium, sondern zu
weilen auch nachher auf unseren gemeinschaftlichen Spazier
gängen eine recht lebhafte Debatte entspann. Zuweilen
machten wir auch auf den Vorschlag unseres Freundes
von Starck einen Ausflug hoch zu Roß in die weitere
Umgebung Göttingens.
Als wir im sechsten Semester wieder nach Marburg zurück
gekehrt waren, bereiteten wir uns fleißig auf die beiden
von uns abzulegenden Examina vor, dem in Marburg
vor der juristischen Fakultät in lateinischer Sprache und
dem hier in Kassel vor der juristischen Examinations-
kommission. Dieselben wurden denn auch im Laufe des
Jahres 1842 zu allseitiger Zufriedenheit bestanden.
Wir wurden hierauf gegen Ende des Jahres 1842
kurz nach einander zu Referendaren beim Obergericht zu
Kassel ernannt, und damit begann für uns zunächst der
unbesoldete staatliche Vorbereitungsdienst.
Nachdem wir uns in den praktischen Dienst eingearbeitet,
entschlossen wir uns gemeinsam mit Freund von Meibom,
uns dem nicht obligatorischen, damals noch nicht abgeschaff
ten Assessorexamen zu unterwerfen, weil dessen Bestehen den
Vortheil darbot, bei der nächsten Vakanz zum besoldeten
Richter ernannt zu werden. Da in diesem Examen hohen
Anforderungen genügt werden mußte, so bereiteten wir
uns zusammen gründlich vor, und legten dasselbe denn
auch zur vollen Zufriedenheit der Examinatoren ab.
In Folge dessen wurde Freund von Starck am 22. Januar
1848 zum Amtsassessor in Hünfeld und ich am gleichen
Tage zum außerordentlichen Landgerichtsassessor beim
Landgericht Schmalkalden bestellt, jedoch schon am 30. März
1848 in gleicher Eigenschaft zum hiesigen Landgericht
versetzt. Unser Gehalt betrug 300 Thaler, resp. nach
Abzug der Steuern und der Wittwenkassenbeiträge
270 Thaler, für einen studirten Beamten im Vergleich
zur Jetztzeit ein unglaublich geringer Betrag.
Damit ging zu meinem großen Leidwesen der Verkehr
an demselben Orte mit meinem lieben Freund von Starck
für immer zu Ende. Wir wurden von jetzt an an ver
schiedene Orte auch außerhalb Hessens verschlagen und
sollten auch späterhin an demselben Wohnsitz nicht wieder
zusammentreffen.
Nach der neuen Gerichtsorganisation in Kurhessen
wurde Freund von Starck am 4. Januar 1849 zum
Assessor an dem neu errichteten Obergericht Rotenburg
mit einem Gehalt von 500 Thalern bestellt, fürwahr auch
ein geringes Einkommen für ein den Obergerichtsräthen
ganz gleichstehendes, stimmführendes Mitglied eines Gerichts
zweiter Instanz.
Dennoch erlebte mein edler Freund in dieser Stellung
wohl eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens. Denn
hier bekleidete er nicht blos in dem Beruf, welchen er
gewühlt, eine angesehene dienstliche Stellung, sondern er
freute sich auch einer sehr schönen Häuslichkeit. Nachdem
er sich nämlich aus innigster gegenseitiger Herzensneigung
im Jahre 1849 mit Auguste von Schmerfeld, einer
Perle edler Weiblichkeit, verheirathet, schenkte ihm seine
Gattin während des Rotenburger Aufenthalts zwei Töchter,
womit sein Eheglück ein vollkommenes wurde. Leider
sollte aber dieses Glück nur sehr kurze Zeit dauern.
Denn als in Folge der traurigen Vorgänge in Kur
hessen im Jahre 1850 sich die Richter vor die Alternative
gestellt sahen, entweder ihren Richtereid zu brechen, oder
ihres Amtes möglicher Weise verlustig zu gehen, so stand,
wie so viele andere Richter, von Starck keinen Augen
blick an, die von ihm geforderte Erklärung, ob er die
ergangenen, die Forterhebung der Steuern betreffenden
Verordnungen befolgen wolle oder nicht, dahin abzugeben,
daß er dieselben nicht befolgen könne, weil er sie wegen
mangelnder Zustimmung der Landstände für verfassungs
widrig halte. Hierauf wurde von Starck mit einer
bayerischen Exekutionsmannschaft von 15 Mann belegt.
Als er infolgedessen um Entlassung aus dem Staatsdienst
bat, wurde ihm dieselbe, ebenso wie seinen Kollegen in
gleicher Lage, verweigert, er dagegen wie sie vor ein