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Hessen als Landwirtschaftliche Pioniere im Transvaal.
Von O. Kalt-Reuleaux.
» heute so viel genannte Stadt Johannes
burg, zu der 1885 erst der Grundstein
~ gelegt wurde und die heute schon mehr als
90 000 Einwohner zählt, mag für Aktienmakler,
Bankdirektoren, Goldprobirer und sonstige an der
Goldgruben-Jndustrie Betheiligte ein angenehmer
Aufenthaltsort sein, für alle an dem Tanze um's
goldene Kalb nicht interessirten Kreise ist sie eine
geistige Wüste. Um dieser zu entgehen, mit
Landsleuten zu verkehren, bei denen der krasse
Materialismus, die Goldgier, noch nicht die ver-
hängnißvolle Wirkung auf Gehirn und Nerven
ausgeübt hatte, begab ich mich häufig zu dem
Gasthofe „Diggers’ Rest“ den ein Herr
Kohles aus Frankfurt a. M. leitete und der
ein Stelldichein der Deutschen aller Lebensstellungen
war. Frau Kohles klagte stets, daß es ihr solche
Schwierigkeiten bereite, Obst und Gemüse in guter
Beschaffenheit und hinreichender Menge zu er
langen. Ihre einzige zuverlässige Lieferantin war,
ihrer Aussage gemäß, eine nassauisch-hessische
Ansiedelung, die unfern von Johannesburg, in
der Nähe der nach Pretoria führenden Straße
lag. Im Laufe der Zeit meines mehrmonatlichen
Aufenthaltes hatte ich wiederholt Gelegenheit,
einige der Ansiedler, die ausnahmslos aus dem
Hessenlande und Nassau stammten, kennen zu
lernen und mit ihnen Unterhaltungen zu führen.
Es war vor allen ein Herr Loth eisen, der
gewöhnlich zweimal in der Woche die Landes
erzeugnisse zum Markte brachte und dann bei
Kohles einkehrte. Er hatte mir schon Vieles er
zählt von den« neuen Heim, das die Hessen in
Afrika gegründet hatten, und von dem Bestreben,
mit vereinten Kräften das zu erringen, was beit
Bemühungen des Einzelnen unerreichbar war.
Lotheisen kam stets mit zwei bis drei Ochsenwagen,
beladen mit frischem und eingemachtem Obst sowie
mit Gemüse, zur Stadt, aber binnen einer kurzen
Zeit war der gesammte Vorrath abgesetzt. Kohles
und Lotheisen berichteten mir so viel von dem
genossenschaftlichen Betriebe der Kolonie, daß ich
schließlich begierig wurde, sie zu sehen, und an
einem schönen Morgen ein Pferd bestieg, ihr einen
Besuch abzustatten.
Sobald die Pochwerke, Brauereien und sonstigen
industriellen Anlagen der Stadt Johannesburg
hinter mir lagen, umfing mich die öde, einförmige
Landschaft der südafrikanischen Hochebene, deren
Fläche nur zuweilen unterbrochen wird von Granit
kämmen und Porphyrkuppen. Etwa zwei Stunden
mochte ich in nordöstlicher Richtung auf der Straße
nach der Landeshauptstadt Pretoria fortgeritten
sein, als plötzlich abseits des Weges ein reizendes
Flußthal zu meinen Füßen sich öffnete. Den
Ufern des krystallhellen Baches, der dasselbe durch
floß, entlang reihten sich Mais- und Weizenücker,
sowie Wcidegründe, auf denen Pferde, Rinder
und Schafe graste». Mehr im Hintergründe
bemerkte man saubere Farmgebäude, die durch
ihre sorgfältige Pflege in ebenso hohem Grade
wie die Kulturen Vortheilhaft abstachen von den
vernachlässigten Gehöften der B o e r e n. Es waren
keine prunkhaften, großartig angelegten Wirth
schaftsgebäude, sondern nur einstöckige, mehrere
Räume enthaltende Blockhäuser, mit Wellblech
bedacht und getüncht. Die Veranden umrankten
blüthenreiche 6onvolvulus-Arten, und hübsche
Blumenbeete breiteten sich vor den Häusern aus,
während hinter denselben ausgedehnte Obst
pflanzungen und Gemüsegärten sichtbar wurden.
Da ich die Farm des Herrn Lotheisen nicht
kannte, so ritt ich zu der zunächst gelegenen, um
mich zu erkundigen. Deren Besitzer nahm eben
auf der Veranda sein zweites Frühstück ein und
bestand darauf, daß ich an dem Mahle, das aus
kalter Springbockkeule, frischer Butter, Schwarz
brod und eingemachtem Obste bestand, Theil nähme.
Erst nachdem wir mehrere Flaschen Lagerbier aus
der Feldschloßbrauerei von F. Brandt in Grün
berg i. Schl, geleert, geleitete mich Herr Maus,
ein Kasselaner, zu Lotheisen, der uns nochmals
zu einem feuchtfröhlichen Imbiß nöthigte. Die
Kunde von meiner Ankunft verbreitete sich blitz
schnell, und bald zahlte die Tafelrunde bei Loth
eisen sechzehn Köpfe. Es waren ausnahmslos
Hessen, deren Wiege theils in der Schwalm, theils
in anderen Gauen des Chattenlandes gestanden
hatte. In meinem Tagebuche finde ich noch die
Namen Kersten, Ritz, Schäfer, Hvltz-
mann, Brinkmann und vou Loßberg auf
gezeichnet. Die Ansiedluug umfaßte insgesammt
34 Familien, die sämmtlich eines hohen Wohl
standes sich erfreuten.
Als wir Abends, nachdem ich die Aecker, Gärten
und Heerden besichtigt und aufrichtig bewundert
hatte, bei Lotheisen auf der Veranda um eine
Bowle geschaart uns zusammenfanden. erfuhr ich
die Geschichte der Ansiedlung, des Pongola
Settlement near Johannesburg. Die
Landsleute waren nicht zusammen aus Deutsch
land ausgewandert, sondern hatten sich nach vielen