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Mann, dessen Schicksale wir nur mit tiefer Rührung
betrachten können. Die Regierung seines Landes,
zuerst als Statthalter, demnächst als Nachfolger
seines Vaters auf sich nehmend und treu und
standhaft tragend in einer sturm- und leidvollen
Zeit, wie sie niemals vorher und nachher über
unser Hessenland hereingebrochen ist, erlag er der
Bürde, der wohl sein starker Geist, nicht aber sein
schwächlicher Körper gewachsen war, zu einer Zeit,
wo noch kein Schimmer einer bessereil Zukunft
aufzuleuchten begonnen hatte, verjagt aus seinem
Lande, seiner Fürsteilrechte entsetzt, in der Fremde
sterbend, in der Blüthe seiner Jahre, in eben dem
Jahr, das für sein Land das furchtbarste Angst-
und Schreckenjahr des ganzen Krieges geworden
war. Und um so tiefer muß uns dies Alles be
wegen, weil Wilhelm zusammenbrach nicht unter
eigener, sondern ererbter Schuld. Wilhelm besaß
nicht den blendenden Geist seines Vaters, aber er
war höchst verständig, auch den Wissenschaften
und Künsten zngeneigt, für die er sogar mehr
bestimmt schien, als für das rauhe Werk des
Krieges. Von aufrichtiger Frömmigkeit des
Herzens, schlicht und bescheiden, faßte er doch
hohe Ziele in's Auge und verfolgte sie mit Klug
heit und Zähigkeit. Sein Wahlspruch „Deo
volente humilis levabor“, „Wenn Gott es will,
werd' ich aus meiner Niedrigkeit mich noch er
heben", bezeichnet sein grundlegendes Gottvertrauen,
seine Demuth und sein hohes Streben. Nicht
ganz so stark als seine Gemahlin und Nach
folgerin in der Regierung des Landes, lang
sameren Entschlusses uud lenkbarer als sie, war
er Anwandlungen des Kleinmuths nicht völlig
unzugänglich, doch nur solchen, denen auch stärkere
Geister wohl einmal erliegen. Wilhelm, vorzeitig
sterbend, hat den Ruhm eines großeil Fürstell
nicht erlangt, seine Persönlichkeit tritt selbst hinter
den glänzenderen seiner nächsten Vorfahren be
scheiden zurück: wer sie aber einmal näher in's
Auge gefaßt hat, der wird nicht von ihr scheideil
können, ohne sie lieben gelernt zu haben.
Wilhelrn's Statthalterschaft währte bis in's
Jahr 1625, wo Landgraf Moritz zurückkehrte.
Sie brachte den thatsächlichen Verlust Marburgs
und Oberhessens, das im Frühjahr 1624 durch
ligistische Exekutionstruppen an Darmstadt über
liefert wurde.
Aber auch jener andere unsichere Besitz Hessen-
Kassels, Hersfeld, war inzwischen verloren ge
gangen. Schon iin Mai 1623, nach vollendeter
Eroberung der Pfalz, war Tilly, der Oberbefehls
haber der Liga, nach Hessen aufgebrochen und
hatte Hersfeld besetzt. Die Abtei wurde für er
ledigt erklärt und zunächst für den Erzbischof von
Mainz in Anspruch genommen, dem der öster
reichische Erzherzog Karl als Koadjutor beigegeben
wurde. Von da ab lagerte Tilly, mit Unter
brechung nur durch seinen kurzeii Zug gegen
Christian von Braunschweig nach Westfalen, zwei
Jahre lang in Hessen, sein Hauptquartier theils
in Hersfeld, theils in der Werragegend nehmend.
Das Land litt schon jetzt schwer unter den Lasten
des Krieges.
Doch weiteres Unheil folgte. Durch die
Schlachten des Jahres 1626, an der Dessauer
Brücke, wo Mansfeld von Wallenstein, bei Lutter
am Barenberge, wo Christian von Dänemark
von Tilly besiegt wurden, waren die Hoffnungen
der Protestanten, die sich in diesem zweiten Ab
schnitt des Krieges auf den niedersächsischen Kreis
und Dänemark gerichtet hatten, zum zweiten Mal
zu Boden geschlagen worden. Auch der Norden
Deutschlands erlag jetzt den Waffen des Kaisers
uud der Liga. Und nun wiederholt sich das
frühere Spiel zwischen Hessen-Darmstadt und
Kassel. Landgraf Moritz war noch im Rückstand
mit Entrichtung der Nutzungen, die er in neunzehn
jährigem Besitz aus dem oberhessischen Land ge
zogen hatte, und zu deren Ersatz au Darmstadt
er mit verurtheilt worden war. Den Betrag
dieser Nutzungen, der in schließlicher Verhandlung
auf 1400 000 Gulden festgesetzt worden war,
aufzubringen, war Moritz völlig außer Stande.
So erwirkte denn Darmstadt, dem die Erfolge
des Kaisers jetzt wieder zu Statten kamen, im
Herbst 1626 die kaiserliche Ermächtigung, bis zur
Zahlung der Schuld einen entsprechenden Theil
des Hessen-Kasselischen Landes in Pfandbesitz zu
nehmen. Und das Land wurde gering im Werth
angeschlagen. Denn für jene Summe von noch
nicht anderthalb Millionen Gulden wurde außer
den getrennt liegenden Gebietsthcilen, der Nieder
grafschaft Katzenelnbogen und den Herrschaften
Schmalkalden und Plessc, auch der größte Theil
Niederhessens bis zu einer Linie von kaiserlichen
und Truppen der Liga besetzt, die von Gudens-
bcrg über Niedenstein nach Waldkappel und
Eschwege sich hinzog. Nur Kassel mit Umgebung
bis zur Werra und das sächsische Hessen wurden
Moritz belassen.
Moritzens Kraft brach jetzt völlig zusammen.
Des Vertrauens seiner Stände und Diener, wie
er selbst gesteht, verlustig gegangen und angesichts
des durch eigne Schuld herbeigeführten Verderbens
nun auch alles Selbstvertrauen verlierend, legte
er im Frühjahr 1627 die Regierung in die Hände
seines Sohnes nieder. Nur mit Widerstreben
übernahm Wilhelm die schwere Bürde. Und auch
ihm erlahmten Muth und Kraft unter der Last