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muß mich dafür bedanken." Es war ein Herr A.
So wollten wir also zu Dritt hin. Es wurde
zwölf Uhr, ein Uhr und halb zwei Uhr, der
Kurfürst kam nicht, aber jetzt war es doch ge
rathen, das Hotel zu verlassen und uns in's
Schloß zu begeben, um dort zu warten. Man
ließ uns in die sogenannte „Rotunde" ein
treten, einen der schönen Räume des herrlichen
weltberühmten Schlosses. Von der Rotunde aus
konnte man nach Kassel hin sehen und wahr
nehmen, ob der Kurfürst kam. Endlich wurde
das schöne und berühmte Jsabellengespann sichtbar,
und bald darauf fuhr der Kurfürst durch's Portal
hindurch vor dem Schlosse vor und stieg mit
seinem Adjutanten aus. Wir musterten uns
nochmals. Die Thür ging aus, und ein himmel
langer Herr mit blauem Frack unb Zylinder
trat ein, grüßte nach uns Dreien hin — mein
Freund S. ging einstweilen vor dem Schlosse
spazieren in gespannter Erwartung, wie die
Sache wohl verlaufen möge — und stellte sich
vor ein Fenster, um hinauszusehen. Es war der
uns Hessen wohlbekannte liebenswürdige Staats
rath Pf. Bald darauf kam der Adjutant des
Kurfürsten, ein Herr von B., den ich von meiner
Gymnasiastenzeit in Fulda her noch im Ge
dächtniß hatte, und gab dem Herrn Staatsrath
zu verstehen, daß der Kurfürst ihn erwarte.
Sodann wandte sich der Adjutant zu uns, schrieb
auf einen Zettel unsere Namen und Stellung
auf mit der Bitte, ihm auch mitzutheilen, in
welcher Absicht wir uns Sr. Königl. Hoheit
vorzustellen wünschten. Der Herr Staatsrath hatte
nur ganz kurze Zeit mit dem Kurfürsten zu sprechen.
Der Adjutant brachte diesem dann den Zettel und
kehrte sogleich zurück in die Rotunde mit dem Be
merken: Se. Königl. Hoheit dankten für den Besuch
des Herrn Revierförsters und des Herrn Land
baumeisters, dagegen der Herr Professor Melde
möchte eintreten. Mit einem Blick auf den Herrn
Revierförster, der seine Verstimmung wegen der
Nichtannahme seiner Vorstellung deutlich im
Gesicht trug, eilte ich die paar Schritte über
den Gang, ein Kammerdiener öffnete die Flügel
thüren, und ich befand mich vor dem Kurfürsten. —
Der Kurfürst trug einen blauen Jnterimsrock
und stand gleich in der ersten Fensternische nach
dem Herkules hin. Ich hatte niemals Gelegen
heit gehabt, ihn ganz in der Nähe zu sehen.
Ein Blick in sein Gesicht sagte mir: der Mann
ist ja ganz freundlich. Eine ziemliche Panse
trat ein; ich durfte nicht zuerst reden und der
Kurfürst zögerte auch. Da dachte ich: der Kopf
geht nicht ab, du sängst an, und im nächsten
Moment sagte ich: „Königl. Hoheit, ich bin
gekommen, um Ew. Königl. Hoheit für die
allergnüdigste Ernennung zum ordentlichen Pro
fessor der Physik und Astronomie an der Landes
universität Marburg meinen allerunterthänigsten
Dank auszusprechen." Der Kurfürst zögerte
einen Augenblick und entgegnete dann: „„Sie
sind eigentlich kein Hesse."" Diese Bemerkung
konnte sofort für mich gefährlich werden. Denn,
hätte ich so etwas gesagt wie: ich wäre doch ein
Hesse und zwar ein guter, so wäre die Sache
wohl schief gegangen. So aber begriff ich gleich,
woran der Kurfürst dachte. Ich antwortete:
„Halten zu Gnaden, Königl. Hoheit, mein ver
storbener Vater stannnte allerdings nicht aus
Hessen, sondern aus Dessau; er war als Apotheker-
gehilfe von Dessau nach Fulda gekommen und
dort geblieben, bis ihm der Allerhöchste Auftrag
zu Theil wurde, in Großenlüder, einem Dorfe
in der Nähe von Fulda, eine Apotheke zu
j gründen." Der Kurfürst nickte, augenscheinlich
angenehm berührt davon, daß ich seine Worte
richtig gedeutet hatte, und befriedigt darüber,
daß meine Auseinandersetzung mit dem stimmte,
was er bei seinem ausgezeichneten Gedächtnisse
aus mancherlei Ministerialverhandlungen über
Apothekenangelegenheiten noch im Sinn behalten
hatte. Der Kurfürst fuhr fort: „„Auch gleich
gesehen habe, daß Adjutant Ihren Namen nicht
richtig geschrieben hatte, ihm gleich gesagt habe:
Melde schreibt sich nicht mit ,thy sondern mit
einem einfachen ,b‘. Irrthum von Adjutant
mir Spaß gemacht hat."" Hierauf nannte der
Kurfürst das Wort „Gerling". Auch hier begriff
ich sofort, was er wollte. Ich sagte: „Gerling
ist mein Vorgänger gewesen; er hat auch das
jetzige mathematisch-physikalische Institut begründen
helfen, er war namentlich als Schüler von Gauß
ein ausgezeichneter praktischer Astronom und
Geometer." „„Gerling aber ein sehr schlechter
Reiter gewesen."" „Königl. Hoheit, so viel ich
weiß, hat Gerling während der hessischen Landes
vermessung ein Pferd besessen." „„Auch sonst einen
Gaul gehabt hat; als ich in Marburg studirte,
Gerling oft reiten gesehen habe, aber ein sehr-
schlechter Reiter war; hat auch seinen Zuhörern
Vortrüge gehalten, wie man reiten lernen könne,
auch wenn man nicht auf einem Gaul säße, mir
gerade so vorkommt, als wenn einer schwimmen
lernen solle, ohne in's Wasser zu gehen."" Der
Kurfürst fuhr fort: „„Ich auch Physik gehört habe
in Leipzig bei einem kleinen buckeligen Herrn,
vielleicht auch den Namen kennen?"" Ich besann
. mich rasch, wer dies wohl sein konnte, nannte
auch einen Namen, aber es schien nicht der zu
sein, den der Kurfürst ine Gedächtniß hatte.