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Dienst gegangenen Dienstboten annahm, ohne
sich von ihm die Bescheinigung des bisherigen
Arbeitgebers zeigen zu lassen, daß dies Verlassen
des Dienstes mit dessen Einwilligung geschehen
sei, mit Strafe. Der Dienstbote mußte den
Schaden, der seinem früheren Herrn aus den:
Kontraktbruche entstanden war, ersetzen. Etwa
rückständiger Lohn galt als verwirkt. Dabei
übersah Landgraf Wilhelm aber keineswegs, daß
auch Fälle denkbar waren, in denen die Dienst
boten im Rechte sein konnten. Er ordnete deshalb
an, daß. wenn der Dienstbote erhebliche Ursache
gehabt hätte, den Dienst zu verlassen, die obrig-
keitlicherseits für begründet erkannt wäre, der
Dienstgeber oder die Dienstgeberin genöthigt sein
sollten, den Lohn vom ganzen Jahre auszuzahlen
und eine Bescheinigung über den bewilligten Dienst
austritt auszustellen. Streng untersagte der Land
graf Versuche, die Dienstboten den Herrschaften
durch Angebot höherer Löhne abspenstig zu machen
(H. L.-O. II, S. 193). Der Landgraf war also keines
wegs ein parteiischer Begünstiger des „Kapitalis
mus", wie man in der heutigen Redeweise sich
ausdrücken würde.*)
*) Ueber die Stellungnahme des Landgrafen gegenüber
den Industriearbeitern erfahren wir aus dem einfachen
Grunde so wenig, weil es eine ausgedehnte Großindustrie
noch nicht gab. Der am meisten entwickelte Großbetrieb
jener Tage war der in den Berg- und Hüttenwerken und
vielleicht in dem Salzwerk in den Sooden bei Allendorf.
In der That enthalt die Bergwerksordnung Landgraf
Wilhelm's vom 31. Mai 1642 (Patent die Wicder-
Auf- und Anrichtung der alten eingegangenen und neuen
Bergwerke betreffend fH. L.-O. II, S. 156 f.]) Einiges
über seine Anforderungen an die Bergleute und Gruben
arbeiter. Auf der einen Seite verhieß er den Bergleuten
und Arbeitern, welche auf seinen Bergwerken
sich wirklich gebrauchen ließen, also nur den
wirklich tüchtigen Kräften unter ihnen, die Bestätigung
aller Gutthaten und Freiheiten, welche ihnen feine Vor
fahren wegen freien Ein- und Abzugs und sonst gewährt
hatten, andererseits aber schritt er mit Strenge gegen
alle Meuterei wegen des Lohns und der Arbeit (Strikes)
ein und drang auf sorgfältige Beachtung der Arbeits
ordnung. Wer eine Akkordarbeit angenommen, aber vor
deren Vollendung ohne Erlaubniß seiner Vorgesetzten
davon abkehrte, sollte den verdienten Lohn verwirkt haben
und auf dem Bergwerk überhaupt nicht weiter beschäftigt
werden. „Wer muthwillig von der Arbeit fortblieb und
einen Tag Feier machte" (nach heutigen Begriffen „blau
machte"), wurde mit Verlust eines Wochenlohnes bestraft.
Auch hier herrschte wieder einerseits nachdrückliche Strenge,
andererseits volle Gerechtigkeit. Der Anlage neuer
Bergwerke stand der Landgraf durchaus sympathisch
gegenüber. Wenn Bergleute auf jemandes Grundstücken
nach Erz schürften, so war der Grundherr verpflichtet,
sie nicht daran zu hindern. Doch hatten die Gewerke
den Grund und Boden, auf dem sie an dem betr. Ort
ein Bergwerk anzulegen gewillt waren, nach Entscheidung
der Bergbeamten von dem Grundherrn zu erstehen und zu
bezahlen, „doch ohne alles Uebermaß" (ebendas. S. 157),
Die Holzordnung des Fürstenthums Hessen-
Kassel'schen Theils vonl 1. Dezember 1659, eine
der umfassendsten und am sorgfältigsten aus
gearbeiteten gesetzgeberischen Maßnahmen des
Landgrafen (H. L.-O. II, S. 576—591), bietet
in verschiedenen ihrer Abschnitte hinlängliche Bei
spiele, wie sehr der Landgraf selbst da, wo seine
Lieblingsbeschäftigung, das edle Waidwerk, in Frage
stand, auf die Pflege der Interessen der ländlichen
Bevölkerung und der Landeskultur bedacht war.
Diesbezüglich gab der Landgraf im Einklang
mit der Holzordnung seines Vaters, Landgraf
Wilhelm's V., vom 1. September 1629 (H. L.-O. II,
S. 13) seinen Willen folgendermaßen kund:
„Unser Wille und Meinung ist gar nicht, daß
unsern Unterthanen der mit großer Mühe, Arbeit
und saurem Schweiß ausgestellte Same, davou
sie mit Weib und Kindern das Brod zu Aufent
halt ihres Lebens haben, von Wildpret verderbt
und abgeäßt werden soll". Vielmehr gebot er
seinen Forstbealnten, die daraus aus waren, das
Wild „in den Vorhölzern und Feldstrüuchen" in
Gehegen zu hegen, und den Landleuten nicht ge
statteten, daselbst ihr Vieh zu treiben und zu
hüten und das Wild aus ihren fruchtbaren
Feldern zu scheuchen, dergleichen schädliche Gehege
gänzlich abzuschaffen und das Wildpret in die
hohen Gehölze und die rechte Wildbahn zu bringen
und die armen Leute am Treiben und Hüten
nicht zu hindern. Ja, er ging noch weiter
und gewährte den Bauern das Recht, Wild
pret, das auf dem Samen im Garten oder im
Acker befunden würde, mit ihren Hunden aus dem
Felde zu verjagen, „damit unsere lieben Unter
thanen, der Arme mit dein Reichen, ihr tägliches
Brod um so viel besser auferziehen, auch desto
mehr Vieh geweidet und zum Fleischkauf in die
Städte gebracht werden kann". In Ausführung
dieser Anordnungen hieß der Landgraf seinen
Beamten, die Unterthanen anzuhalten, daß sie
um die vor den Wäldern, sonderlich den Haupt
wildbahnen, gelegenen Felder, soweit sie keine
lebendige Hecken oder Zäune darum hätten, tüchtige
Zäune errichteten und dadurch ihre Felder und
Früchte vor dem Wildpret verwahrten. Das
dazu erforderliche Holz sollte forstsrei verabfolgt
werden sH. L.-O. II, S. 589).
Besoudereii Werth legte der Landgraf aus eine
vernünftige Waldwirthschaft, wie sie bereits in
der Holzordnung seines Vaters wenigstens an
gestrebt wurde. Ein ganzes Kapitel der Holz
ordnung Landgraf Wilhelm's VI. handelte von
der Hegung und Ersparung des Holzes (H. L.-O. II,
S. 585—587). Eine rationelle Aufforstung hatte
mit einem vorsichtigen, zielbewußten Abtrieb Hand