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hier hängen geblieben, den man als einen
routinirten Schauspieler, nachdem er ein hiesiges
Mädchen geheirathet und ein Handelsgeschäft über-
nommen hatte, sür's Theater gewann und in den
verschiedensten Fächern beschäftigte. Er hatte die
Eigenthümlichkeit, daß er seine Rollen meist ans
gut Glück nach den Einslüfternngen des Souffleurs
wiedergab, auch die Rollen seiner Mitspieler besser
konnte als seine eigene, weil ihm diese in den
Proben wiederholt vorgesagt worden.
Im Vorwinter 1815, als die russische Armee
ans Frankreich znrückmarschirte und Barkley
de Tolly eines Abends hier Rasttag hielt, wurde
Theater gespielt und unter Anderem ein kleines
Stück „Die patriotische Familie", natürlich ein mili
tärisch - enthnsiasmirtes Stückchen, aufgeführt, in
welchem gegen das Ende den Führern Schwarzen
berg, Blücher u. s. w. ein Toast ausgebracht wurde.
Es war meine erste Rolle, die man mir anvertraut
hatte, und da der russische Feldmarschall unser
Theater mit seinen Offizieren durch seinen Besuch
beehrte, so fand ich es ganz der Artigkeit an
gemessen, ihn im Toaste dazuznraffen; als ich daher
das Glas erhob und laut iii'8 Parterre gegen die
Loge hin die Worte anssprach: „Alle jene Edlen,
Schwarzenberg, Blücher, Barkley de Tolly, die uns
mit Ruhn: vorangingen — sie leben hoch" ! brach
ein solcher Sturm des Beifalls ans, daß das Fort-
spielen viele Minuten lang unterbrochen wurde und
mir die russischen Offiziere, die sich ans dem daraus
folgenden Ball mich ihnen vorstellen ließen, mich
enthusiastisch umarmten und mir in allen Sprachen
die ausgesuchtesten Artigkeiten für meine Ansmerk-*
samkeit auszudrücken sich bestrebten.
Der Feldmarschall hatte sich gleich nach dem
Theater zurückgezogen, aber sein Adjutant konnte
keinen Augenblick versäumen, in dem er meiner
habhaft werden konnte, mich zu fetiren, so daß mir
die Sache zuletzt ganz lästig und lächerlich wurde
und ich mich viel früher, als es sonst geschehen
wäre, um den schmeichelhaften Ovationen zu ent
gehen, vom Balle zurückzog.
Im Jahre 1816 nahm sich der nachmalige Rath
Bi erste dt, ein Berliner von Geburt, der viele
Kenntnisse aber kein glückliches Organ besaß, des
Liebhabertheaters mit vieler Wärme au, nud unter
seiner Leitung und Bemühung kam die Aufführung
von Schiller's „Kabale und Liebe" zu Stande, von
welcher Ausführung kompetente Richter mir wieder
holt versicherten, ein abgerundeteres und besser inein
ander greifendes Znsammenspiel noch nie gesehen zu
haben. Ich war damals auf der Universität, und
alle die Briefe, die ich erhielt, und die nachmaligen
Erzählungen stimmten nur in dem Einen überein,
einen größeren Kunstgenuß nie erlebt zu haben,
als in den wiederholten Darstellungen dieses Trauer
spiels. Seit diesem Spiele glänzte Josephine
Thomas als erster Stern am Theaterhimmel nud
erregte, wie natürlich, den Neid der Frau Eoudray
wie anderer Mitkonkurrentinueu.
Nach der Besitznahme Fulda's durch die Kur
hessen 1816 hatten sich mehrere Offiziere der da
maligen Garnison, nachdem Eoudray durch Ver
setzung von hier mit seiner Frau ausgeschieden und
auch Rotheubücher dahin abgegangen waren, zur
Uebernahme von Rollen verstanden; wie ich denn
im Herbste 1816 einem Kotzebue'schen Lustspiele
„Der Rehbock" beiwohnte, wo ich mich über die
große Naivität wunderte, mit der man die größten
Zweideutigkeiten hinnahm und die Unschicklichkeit,
solchen Schund von einem Liebhabertheater aus
führen zu lassen, gar nicht zu ahnen schien.
Heinrich König, dessen entschiedenes Talent zu
seinen Intriganten-Rollen sich immer zweifelloser
ausbildete, sah sich durch die Lobsprüche seiner
Bewunderer in diesem Fache sehr genirt nnb über
nahm nur mit Widerwillen später eine derartige
Rolle, doch war seine Thätigkeit als Regisseur
vom vortheilhaftesten Nutzen bei Wahl nnb Be
setzung der Stücke. — Seit meiner akademischen
Laufbahn konnte ich die Fnldaer Liebhaberbühne
nicht gut von meinen theatralischen Besuchen trennen
und überall, wo ich ein Theater besuchte, besetzte
ich im Geiste die vor mir abgespielten Stücke mit
Persönlichkeiten unserer Bühne in Fulda. Ans
diesem Grunde mochte ich auch Opern u. dergl.
Sachen weit weniger gern besuchen, als gerade
Lust-, Schau- und Trauerspiele, wenn ich hoffen
konnte, dieselben würden sich für unsere Bühne
eignen.
Als ich daher im Winter 1818 wieder nach
Hause kam, machte ich es zur Bedingung meines
Mitwirkens, wenn man sich dazu verstehen wolle,
die Lessing'sche „Emilia Galotti" einzustudieren.
Die Hauptschwierigkeit bei der Besetzung der
Rollen, war der Bräutigam der Emilie, wie er
denn auch in die Hände des spütermals holländischen
Stabsarzt hier gestorbenen Fritz Wiegand nicht
erbärmlicher hatte gelegt und, wie wir uns technisch
ausdrückten, „verhandhabt" hätte werden können.
König spielte den Atarinelli in hoher Kunst
fertigkeit, — PH. Schwarz den Prinzen, Mimi
von Spital Emilie, Josephiue Thomas, meine
nachmalige Frau, die Gräfin Orsina und ich den
Odoardo — in einem glänzenden Damastan-
zuge