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stummte vor dem Wirbel französischer Trommeln
und vor dem Knattern des kleinen Gewehrfeuers,
das sich mit mächtigem Echo in diesen Thälern
brach. Jammernd und wehklagend schleppten sich
verwundete Krieger zu den Mauern des schützen
den Parks, und statt froher Lieder, die sonst all
Sonntagen hier von lustwandelnden Menschen
gehört werden, vernahm man nur kurze, mili
tärische Kommandos in allen möglichen Sprachen
und Tonarten.
Sollte aber Jemand irgendwelche Zweifel all
dem eben Gesagten hegen, so bitte ich ihn nur
seinen Blick auf den sichtbareil Zeugen jener
Tage zu werfen, der mir gegenüber hier in
der Wand noch festsitzt und ilns stumm, aber
beredt von den Schrecknissen jener Tage Kunde
giebt. Sie sehen hier deutlich das mächtige Ge
schoß eines Regimentsgeschützes, das hierher seinen
Weg durch das Fenster genommen und das
uns jetzt erzählt voil jenem blutigen Tage, an
dem hier Engländer, Deutsche und Franzosen
um die Palme des Sieges in heißem Kampfe
gerungen haben.
Einell guten Flug hat dieses furchtbare Geschoß
gethan, insofern, als es wie viele seiner todbringenden
Mitgeschosse seitlich von dem tiefer liegenden
Dache des Schlosses hier in dem Gebäude ein
schlug und relativ hier wenig Schaden anrichtete,
wenngleich wir freilich nicht wissen können, ob
dasselbe llicht den zufälligen Insassen des Zim
mers, mögen dieselben nun dem Militär oder
Zivil angehört haben, bösen Schaden zugefügt
hat. Freuen wir uns jedenfalls, daß es sich
hier an der Wand seinen Ruheplatz gesucht
hat und nicht etwa die herrlichen Kunstschütze
des Schlosses, die Porzellane von Meißen und
Sevres, die Boiserien in Atome zertrümmert hat.
Die Kugel galt, wie ich hier gleich einschalten
will, den aus dem Thiergarten retirirenden
Trümmern des Stainville'schen Corps und stammt
aus einer in der Höhe der Landstraße am Wald
stehenden englischen Batterie. Eine genau ebenso
große und schwere Kugel habe ich zu Hause in
meinem Besitze. Dieselbe wurde beim Durch
sägen einer uralten Eiche des Wilhelmsthaler
Waldes hart am Parke gesunden und mir durch
Herrn Oberförster Mergel, welcher später zu
Wahlershausen starb, zum Geschenk gemacht.
Der Anblick dieses Geschosses ruft uns aber
wieder in die Seele zurück das Bild jener Männer,
die hier muthig dem Feinde gegenüberstanden,
unbekümmert um die rasch dahinsausenden Kugeln,
die über ihr Sein oder Nichtsein schon in der
nächsten Minute entscheiden sollten. In die Er
füllung ihrer schwersten Pflichten waren hier
Britten und Deutsche eingetreten, als sie, den
Blick auf die wehenden Fahnen gerichtet, hier
am 24. Juni des Jahres 1762 aus blutiger
Wahlstatt vereint kämpften. Aber auch der
Franzose, weit entfernt hier ein zweites Roßbach
zu liefern, hatte, wie wir später sehen werden,
allen Grund, den Tag von Wilhelmsthal zwar
zu ben unglücklichen, aber doch ehrenvollen
Schlachttagen zu zählen.
Gerade die Schlacht von Wilhelmsthal hier
ausführlicher zu besprechen, veranlaßte mich zuerst
die Oertlichkeit selbst, an der unser Herz seit
frühester Jugend hängt und der durch die Er
innerung an diesen heißen Kamps noch ein
neuer Reiz zugeführt wird. Auch bestimmte mich
hierzu der ehrenvolle Antheil, den die hessische
Reiterei, in spooie die gelben Dragoner, die
Prinz Friedrich-Dragoner an der Schlacht nahmen,
die hier zwei französische Kanonen erbeuteten und
deren Tapferkeit auch in unserm preußischen
13. Husarenregimeut 1870 gewissermaßen auf's
Neue auflebte.
Die Bedeutung dieser hochinteressanten Schlacht
ist außerdem in fachmännischen, d. h. militärischen
Kreisen längst bekannt und gewürdigt, während
in den Kreisen der Zivilbevölkerung, in der
Masse der Volkes dieselbe noch lange nicht ge
nügend bekannt ist und deshalb auch nicht aus
ihre Bedeutung geschätzt wird. Fehlte doch nicht
viel und hing es, wie wir später sehen werden,
nur von Zufälligkeiten ab, und wir hätten hier
in Wilhelmsthal ein Sedan aus deutschem
Boden zu verzeichnen, das sich dem Sedan des
Jahres 1870 würdig hätte vergleichen lassen.
Fast 70,000 französische Krieger, 2 Marschälle,
20 Generale, 2000 französische Ofstziere, Hunderte
von Kanonen und Feldzeichen wären hier in die
Hände der Alliirten beinahe gefallen und der
Ruhm dieser Schlacht würde dann die späteren
Generationen nach überdauert haben.
Wenn auch der Erfolg der Schlacht nicht der
gleiche wie bei Sedan war, so waren die Anord-
| nungen des Herzogs Ferdinand von Braun-
j schweig als Führers doch so vorzüglich getroffen,
! daß eine vollständige Umzingelung der großen
französischen Armee erreicht worden wäre, wenn
nicht der bekannte cpdovos vöv Oecdv (der Neid
der Götter) seine Hand dabei im Spiel gehabt
hätte uttb den Siegeslorbeer des Herzogs Fer
dinand hier in seiner vollen Entfaltung behin
dert hätte.
Man kann sich aber um so lieber zu einer
Besprechung dieser Schlacht entschließen, als damit
auch einem gewissen Gefühle der Gerechtigkeit
I Genüge gethan wird. Wie wenige wissen ver-