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Missethäters nicht ganz lautlos abging, scheint mir
das auch in Kassel noch gebräuchliche Wort „gaghen
oder gähken" für lautes Rusen oder Schreien zu
bedeuten. Eine alterthümliche Abbildung des
Gäghs zu Alsseld besitzt meines Wissens der
Hospitalverwalter daselbst.
In der unmittelbaren Nähe des Gäghs befand
sich auf dem Hough (Hügel) vor dem Oberthor
der Stadt unter den Linden daselbst die Stätte
des Hougirgerichts, von dessen Thätigkeit uns noch
verschiedene Urkunden aus dem l4. und 15. Jahr
hundert erhalten geblieben sind Das Gericht war
kein städtisches, sondern umfaßte den ländlichen
Bezirk der Umgegend, von Eudorf und Schwabenrod
bis Hopsgarten und Brauerschwend von Klein-
und Großhomberg (ausgegangen) bis Angenrod
und ist allem Anschein nach von Anfang an eine
altchattische Dingstätte gewesen. Der Richterspruch
und die Vollstreckung desselben lagen nicht weit
auseinander, wie dies Volksjustiz verlangt.
Als eine fernere Erinnerung an mittelalterliche
Justizpflege ist das Halseisen am städtischen Wein
haus zu Alsfeld anzusehen. An der Ecke des
Hauses und zugleich des Marktplatzes, an einer
lebhaften Verkehrsstelle, ist das Halseisen an einem
Ouaderstein befestigt; diese Stelle war der Pranger
der Stadt, wo ehrenrührige Vergehen gesühnt wurden.
Fulda. ' 6>. W.
Der eingestürzte G locken thurm von
Hersfeld. Der am 26. März d. I. vermuthlich in
Folge Eindringens von Wasser in Mauerritze und
der Wirkung des Frostes im letzten harten Winter
theilweise eingestürzte Glockenthurm, ein Ueber-
bleibsel der im Jahre 850 durch den Abt Brunwart
vollendeten, schon 1037 durch Feuer zerstörten und
vermuthlich im romanischen Stil erbauten ersten
Stiftskirche, ist das älteste Bailwerk der Stadt Hersfeld.
Er ist nur drei Stockwerke hoch, der obere, damals
jedenfalls vom Brand mitzerstörte Theil ist später
erneuert, das Dach im Gegensatz zu dem hohen
Helm des zur Ruine der im Jahre 1044 fertig ge
stellten zweiten Stiftskirche gehörigen Thurmes flach.
Die Mauern , am unteren Stock kaum 1 in stark,
verjüngen sich nach oben abtheilungsweise, das
oberste Stock ist nur höchstens halb so stark wie
das unterste. Ter Einsturz ist an der der West
seite zugekehrten Ecke erfolgt, und zwar ist diese
von oben bis unten heruntergefallen, fodaß noch
drei Ecken unversehrt stehen, welche von dem un
beschädigt gebliebenen Dache überdeckt werden. Der
Einsturz hat den im obersten Stocke befindlichen
Glvckenstuhl bloßgelegt, sodaß man eine der darin
verwahrten drei Glocken hängen sieht. Tie größte
derselben, die „Lullusglocke" genannt, gehörte zum
alt eil Dome iliid ist eine der merkwürdigsten
Glocken Deutschlands. Sie hat fast Bienenkorbsorm;
der untere größte Durchmesser derselben betrügt
1,12 m, die innere Höhe 1,07 m. Der Schlag
ist nuten wagerecht, dann verjüngt sich der Um
fang der Glocke um 0,46 m, und nun steigt das
Profil schräg, fast geradlinig an. Der obere Ab
schluß, die Haube, ist flach kuppelförmig und wird
durch drei Bäilder, die in flacher Erhebung hervor
treten, geziert. Zwischen dem unteren itnb mittleren
Bande befindet sich eine vertieft angebrachte In
schrift, deren Wortlaut mit Sicherheit noch nicht
ermittelt ist. Doch ergeben die bislang angestellten
Deutungsversuche, daß Abt Meginher (1036 -1059)
die Glocke gießen oder umgießen ließ. (L. Demme,
Nachrichten und Urkunden zur Chronik von Hers
feld. Bd. I, S. 4, Anm.) Tie Glocke wurde,
nachdem der Gottesdienst in der Stiftskirche in
Folge deren Zerstörung am 19. Februar 1761
durch die Franzosen eingegangen war, nur noch,
und zwar bis zum vorigen Jahre, dazu benutzt,
aus Galli (16. Oktober) den Beginn des alther
gebrachten Lullusfestes einzuläuten; sie ist den
Hersfeldern ein an's Herz gewachsenes, theueres
Kleinod.
Ob der Thurm zu erhalten sein wird, ist noch
unentschieden, die Meinungen Sachverständiger
darüber sind getheilt. Die zur Beobachtung etwaiger
fernerer Bewegungen im Mauerwerk angebrachten
Gipsbänder sind bis jetzt völlig unverändert ge-
blieben, was ja einen günstigen Schluß aus die
Möglichkeit einer Erhaltung wohl zuläßt. Ist diese
thunlich, so wird mau sie, hoffen wir, auch ein
treten lassen.
Aus Aeimatli und Fremde.
N o t i z e n. Tie neu begründete Hessische
Gesellschaft für öffentliche Gesundheits
pflege hielt am Mittwoch den 8. Mai im Saale des
Evangelischen Vereinshauses zu Kassel eine Sitzung
ab. In dieser hielt nach Bestellung eines Vorstandes
von 12 Mitgliedern der neugewählte Vorsitzende,
Dr. med. von Wild, Vortrag über: „Die An
steckung und den Schutz gegen ansteckende
Krankheiten". - Am 24. April d. I. beging ein
Sohn unseres Hessenlandes, der bedeutende Jurist
und hochangesehene Professor der rheinischen Hoch
schule Dr. Wilhelm Endemann, die Feier seines
70. Geburtstages, zu welcher dem Jubilar reiche
Ehrungen zu Theil wurden. Wir schließen uns
ihnen an und rufen unserem berühmten Lands
mann nachträglich ein von Herzen kommendes ad
multos annos zu. — Dem Provinzialschulrath