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sind, sondern sein Charakterbild in der Geschichte
noch immer schwankt, so steht doch für die un-
parteiische Forschung so viel fest, daß es mit
einfacher Verdammung der Wirksamkeit Hassen-
pflug's in Bausch und Bogen, wie sie von
angesehenen Historikern noch jetzt beliebt wird,
nicht gethan ist. Kein Geringerer als der jüngst
verstorbene Reichsgerichtsrath Otto Bähr hat,
wenn schon seiner Zeit ein Gegner Hassenpflug's,
in Nr. 36 der „Grenzboten" vom 31. August 1893
Heinrich von Sybel gegenüber dies nachdrücklich
betont, und Ferdinand Zwenger hat ans S. 264
des 7. Jahrganges vorn „Hessenland" Bähr's Auf
satz zur Kenntniß unseres Leserkreises gebracht.
Jedenfalls verdienen Martin's formal und sachlich
werthvollen Beiträge zur Beurtheilung der Wirk
samkeit Hassenpflng's volle. Beachtung.
In den Tagen der Krise von 1866 war Martin
der letzte hessische Staatsbeamte, den der Kurfürst auf
hessischem Boden zu Rathe zog. Die Proklamation
des Kurfürsten „An mein Volk" vom 23. Juni
1866 ist von Martin entworfen, dessen Auf
fassung von der Sachlage mit der des Kurfürsten
völlig übereinstimmte.
Auch nach 1866, bezw. dem Tage der Aus
lösung des hessischen höchsten Gerichtshofes, dem
1. September 1867 blieb Martin im Amte, da
sein Gesuch, nach Auslösung des kurhessischen
Oberappellativnsgerichts zur Disposition gestellt
zu werden, nicht genehmigt wurde. Einen Antrag,
in das 1867 in Berlin für die neuen Provinzen
gebildete Oberappellationsgericht einzutreten, lehnte
Martin ab, blieb vielmehr bis zum 1. Oktober
1885 Mitglied des Kasseler Appellationsgerichtes,
bezw. Oberlandesgerichtes, wie es seit 1879 hieß.
Dann trat er in den Ruhestand.
Auch nach 1866 griff er wiederholt zur Feder,
so veröffentlichte er 1870 bei Luckhardt in Kassel
und Leipzig einen „kurzen Bericht über den Erfolg
der am 8. September v. I. (1869s in Sachen
der hessischen Kirchenverfassnng in Gunters-
Hausen beschlossenen Rechtsverwahrung, mit einigen
weiteren Erörterungen zur Sache", 1871 eben
daselbst einen „weiteren Bericht in Sachen des
Rechtes der hessischen Kirche unter Berücksichtigung
der neuesten Gesetzesvorlagen Königlicher Staats
regierung", Schriften, die nicht unwesentlich dazu
beigetragen habeil, die behufs Umbildung der
evangelischen hessischen Kirchengemeinschaften zu
einer einheitlichen hessischen Kirche geplanten und
eingebrachten Gesetzesvorlagen zum Scheitern zu
bringen.
Im weiteren Verlaus der Ereignisse schloß
sich Martin an die hessischen Renitenten an
und nahm auch öffentlich für die abgesetzten
renitenten Geistlichen Partei, indem er einen
int September 1873 zu deren Gunsten erlassenen
Aufruf mitunterzeichnete, was ihm und dem in
gleicher Lage befindlichen Appellationsgerichtsrath
Klingender ein Disziplinarverfahren zuzog, das
für Martin in zweiter Instanz mit der Ver-
urtheilnng zu einem Verweis und 100 Thalern
Geldstrafe abschloß. Die Akten dieses Verfahrens
niit kritischen Erläuterungen hat Martin nach
seiner Pensionirnng 1886 bei Gustav Klaunig
in Kassel in der Schrift veröffentlicht: „Die
christliche Kirche und der preußische Staat. Ein
Beitrag zur Würdigung dieses Verhältnisses aus
meinem Amtsleben." Der einmal genommenen
Stellung gemäß hat Martin auch ferner die
Sache der Renitenz vertreten, vor allem in den
„Hessischen Blättern", denen er in der Zeit von
1873 bis 1894 ein eifriger, Mitarbeiter gewesen
ist. Auch die Gegner werden diesen Aussätzen
das Zeugniß formal juristischer Schärfe und
Folgerichtigkeit nicht versagen können. Schon
früher war Martin mehrfach journalistisch thätig
gewesen, so in Vilmar's „Hessischem Volksfreund"
(1848 1853), in der „Sächsischen Zeitung" und
in der „Hessischen Volkszeitung" (1868—1870).
Nicht lange vor seinem am 14. März d. I.
erfolgten Heimgänge, im Mai 1893, verlor
Martin seine treue Lebensgefährtin, mit der er
seit 1840 in glücklicher Ehe vereinigt gewesen
war, einer Ehe, aus der drei Söhne und eine
Tochter Vater und Mutter überlebt haben.
Martin war sein Leben lang eine Zierde des
hessischen Richterstandes, das wird von keiner
Seite bestritten. Auch die jüngeren Juristen
aus den älteren preußischen Provinzen, welche
Martin dienstlich näher kennen lernten, loben
ausnahmslos seine hervorragende juristische Be
fähigung und seine Liebenswürdigkeit. Er verstand
es, fröhlich zu sein unter Fröhlichen. Martin
hatte wohl Gegner, aber keine persönlichen Feinde.
Bis in sein hohes Alter bewahrte er sich eine
seltene geistige Frische und körperliche Rüstigkeit.