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deutschen Volkes in hessischen Sitten und Sagen",
oder aus mehr wissenschaftlichen Werken, wie
Jakob Grimm's „Deutsche Mythologie" und
anderen, kennen lernen.
Andere mit dem Volksleben eng verwachsene
Einrichtungen, wie die Sklaverei, mußten dem
allmäligen Absterben überlassen werden, da sie
nicht geradezu gegen ein Gebot Gottes verstießen
und es zu ihrer Entfernung erst einer Umwand
lung der Herzen zu christlicher Liebe und Milde
bedurfte, che die heidnisch-ererbte Mitleidslosigkeit
und Härte verdrängt werden konnte. Doch
wurde wiederum u. A. sogleich und energisch die
grausame Sitte verboten, daß christliche Herren
Sklaven an Heiden verkauften zu dem aus
gesprochenen Zwecke, daß dieselben den Göttern
geopfert werden sollten. Allmälig entwickelte
sich aus der Sklaverei ein mildes Hörigkeits
verhältniß, wie wir es im ganzen Mittelalter,
abgesehen von persönlichen Ausnahmen, in segens
reichster Blüthe für Herren und Knechte finden.
Und wie oft hat die Kirche Hörige und Unter
thanen in Schutz genommen gegen harte und
ihre Rechte mißbrauchende Herren und diese ge
zwungen, gerecht und milde zu sein, und wenn
es mit dem Bannstrahl war!
Daß es geraumer Zeit bedurfte, bis durchweg
der christliche Geist in das Leben des Volkes
eindrang, wird nicht Wunder nehmen; wird ja
doch auch ein Rekrut nicht gleich nach Ableistung
des Fahneneides ein vollkommener Soldat, sondern
es bedarf vieler Uebungen und Ermahnungen,
bis die alten, die Ausbildung hemmenden Ge
wohnheiten des Leibes und der Seele ausgerottet
sind. Bei weitem größere Geduld noch mußte
die Kirche gegenüber der Anhänglichkeit an alt
hergebrachte und liebgewonnene Gebräuche walten
lassen.
Um so mehr wird es erhellen, wie nothwendig
ein im Lande residirender und stets anwesender
eigener Bischof war. Als solchen weihte nun
für Hessen Bonifazius im Jahre 740 seinen
angelsächsischen Landsmann Witta — zu deutsch:
Weiß, latinisirt: Albuinus oder Albinus —, und
wies ihm nach eingeholter Genehmigung des
Papstes Zacharias seinen Sitz auf dem Nürn
berg Fritzlar gegenüber an. Hier lag die alte,
bereits befestigte Ansiedelung Büraburg, vom
heil. Bonifazius oppidum, Stadt, von Andern
castrum, Burg, genannt, welche nahe an dem
aufblühenden Fritzlar mit seiner nunmehr bischöf
lichen Kirche den nöthigen Schutz gegen die
wilden heidnischen Sachsen bot, die schon gleich
jenseits Wolfhagen und im nördlichen Waldeck
hausten. Von dem später auch heilig gesprochenen
Bischof Witta wissen wir nur sehr wenig; er
erhielt einen Brief des Papstes Zacharias, der
ihn zu seiner Würde beglückwünschte, und wohnte
bald nach seiner eigenen Weihe der seines Mit
bischofs, des heiligen Willibald von Eichstedt, bei,
die, wahrscheinlich schon im Jahre 741, aus der
Salzburg an der fränkischen Saale stattfand.
Auch befand er sich unter den bischöflichen Theil-
nehmern des von Bonifazius berufenen ersten
deutschen Konzils, das im Jahre 742, man weiß
nicht wo?, vielleicht in Frankfurt oder Worms,
abgehalten wurde. Witta starb im Jahre 786.
und wurde im Kloster Hersseld beigesetzt.
Ob nach seinem Tode, wie berichtet wird und
nach einem sehr alten Fritzlarer Todtenbuche
glaubhaft erscheint, der Fritzlarer Mönch Megingoz
den Bischofsstuhl von Büraburg bestieg, muß
freilich nach den dagegen vorgebrachten Gründen*)
zweifelhaft bleiben. Mindestens aber ist nach
Bischof Witta's Tode der Sitz des Bisthums
nach Fritzlar verlegt worden, und nach Megingoz
hören wir jedenfalls nichts mehr von einem
hessischen Bischöfe; das Bisthum ging ein und
wurde dem Erzbisthum Mainz einverleibt, sei
es, um dessen Umfang angemessen zu vergrößern,
sei es als Entschädigung für abgetretene Gebiets
theile. Der Zeitpunkt dieser Einverleibung scheint
die Wende des 8. und 9. Jahrhunderts gewesen
zu sein. Näheres über den Vorgang wissen wir
nicht. Doch beachtenswerth bleibt für die Be
urtheilung desselben immerhin, daß der Nach
folger des Erzbischofs Lullus von Mainz, Riculf,
sich im Jahre 787 in Fritzlar zum Bischöfe
weihen ließ, woraus man geschlossen hat, daß
schon damals die Einverleibung stattgefunden
habe, denn allerdings: Lullus und Witta
starben fast gleichzeitig im Jahre 786. Mag
dem nun sein, wie es will, so kann man im
Interesse des Landes nur sehr bedauern, daß
das hessische Bisthum sobald schon einging, wenn
auch selbstredend die bischöflichen Funktionen für
den Hessengau erhalten blieben, indem der Erz
bischof von Mainz, soweit dies kanonisch zu
lässig war, zunächst wohl den Abt des Klosters,
später aber den Propst des Stiftes als
Archidiakonus**) mit der Ausübung der bischöf
lichen Gerechtsame und der Gerichtsbarkeit be
auftragte, so daß Fritzlar das ganze Mittelalter
hindurch der kirchliche Mittelpunkt des fränkischen
Hessengaues blieb, der später Grafschaft Gudens-
berg und noch später Niederfürstenthum Hessen
genannt wurde.
*) S. darüber Abel, Jahrb. d. fränk. Reiches unter
Karl d. Gr. I, p. 538 ff.
**) Der Archidiakonat für die Erzdiözese Mainz trat
wahrscheinlich schon mit dem 10. Jahrhundert in's Leben,
(B int er im, Denkwürdigkeiten I. 1. p. 417 f.), etwa zu
gleicher Zeit, als das Kloster in ein Kollegiatstift ver
wandelt wurde (Wenck, Hess. Landesgesch. II, p. 250).