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mast-Toppstange zu lösen war. Dröhnend mahnten
vom Kommandeurschiffe scharfe Schüsse die
Säumigen, welche nun in der Arrioregarde die
Reise antreten mußten.
Der Wind, welcher zu Anfang eine günstige
Fahrt verhieß, steigerte sich indessen bald zum
Sturm. Die Flotte konnte nicht in unmittel
barem Anschluß sich fortbewegen, und mehrere
Schäflein der Heerde verloren sich, ferner ihren
Weg durch die Wasserwüste nach eigenem Kompaß
suchend. Einer dieser Abtrünnigen war der
„Roman Emperor". Somit schwand für Eckebrecht
die erhoffte Gelegenheit, seiner neusten Flamme,
bei „calme" einen Besuch abzustatten, wie solche
während der Windstille zahlreich von einem
Schiffe zum andern gewechselt wurden.
Die Rose, das Andenken der schönen Frau,
hatte ihren Platz in Agnesens seidenem Beutelchen,
neben dem gemünzten echten Golde gefunden.
Damit war zugleich ein Bild entworfen, welchen
Standpunkt der junge Mann zu beiden Frauen
einnahm.
Nach wenigen Tagen waren Duft und Farbe
der Blüthe entschwunden, nur ein zartes Aroma
strömten die Blätter noch aus. So gedachte Eckebrecht
dieser Bekanntschaft als eines angenehmen Traumes,
während eine Anwandlung von Heimweh das
Bild Agnesens idealisirte oder, richtiger gesagt,
voraussah, was die Knospe noch barg.
Zu keiner Zeit erscheint der menschlichen
Phantasie die Rückkehr so nahe und lockend als
in der Scheidestunde. Unter ihrem Eindrücke stand
Lieutenant von Müllikerode noch, wenn er, am
Bugspriet des Schiffes lehnend, in die Wellen
schaute und goldene Zukunftsbilder heraufbeschwor.
In die alte Stammburg Münikerode, sein
zukünftiges Erbtheil, zog er ein, sich den eigenen
Heerd 311 gründen, und immer war es die junge
Nichte, welche er im Geiste an denselben heim-
führte, so oft and) sein leicht erregbares Herz für
anbere Schönheiten schwärmte.
Rhode-Jsland war in einer versiegelten Ordre
aller! Schiffskapitänerl zum Rendezvous-Platz ange
wiesen worderr. Als rrach einer mehr beim zwei
monatlichen Fahrt sich das Land der Verheißung
den Blicken zeigte, ward es allseitig mit lautem
Jubel begrüßt. Aber gleich der: Kindern Israels
mußten die Seefahrer noch einmal an der Grenze
ihres zu erobernden Kanaans wieder umkehrerr.
Im Begriff, irr die Bah Chebueto, an welcher
Halifax liegt, einzulaufen, brachte eine Schaluppe
dem Commodor die Ordre, mit der ganzen Flotte
weiter zu segeln nach Sandy-Huck-Bah.
Die im Sturm oder Nebel verirrten Schiffe
sammelten sich hier wieder zum Geschwader, nur
der „Roman Emperor", der die Reise in viel
kürzerer Zeit zurückgelegt hatte, war bereits mit
einem anderen Convoy vorausgegangen.
Diese letzte Nachricht trug dazu bei, die auf dem
Sandwich und allen anderen Schiffen sehr ge-
sunkene Stimmung bei Eckebrecht non Müllikerode
unter Null niederzudrücken.
Allmälig begannen die Lebensmittel rar und
theuer zu werden, die Offiziere erhielten nur
noch die Nation gemeiner Soldaten. Ter
Mangel an frischem Wasser machte sich empfindlich
bemerkbar, itnb die überhand nehmenden Mäuse
schmälerten noch die Kost und vernichteten manches
gute Kleidmlgsstück. Unter solchen erschwerenden
Umständen stach man wiederum in See, um nach
abermals 14 Tagen die bnrri) schreckliche Stürme
I und Gewitter bedrohte Seereise schließlich zu
! beenden. —
VI.
Die glänzenden Siege, welche die deutschell
Regimenter den Engländern erfechten halfen,
wiegtell beit jungen Helden Eckebrecht in den
Glauben ein, es müsse von Erfolg zu Erfolg
weiter gehen und das ganze Land bald der
englischen Krone zurückerobert sein.
Die Weltgeschichte hat längst ihr Urtheil ge
füllt über die Fehler, welche in dieser Kriegführung
i durch die Zauderpolitik mancher Heerführer be-
| gangen wurden, wodurch sie sich bereits errungene
! Vortheile wieder aus der Hand winden ließen.
! Für unseren jungen, heißblütigen Offizier, der
! ebenso schnell wie zur That auch zum Urtheilen
bereit war, kostete es oft schwere Ueberwindung,
seine bessere Einsicht dem Gehorsam unterzuordnen.
Es kann nicht unsere Absicht sein, den Helden
dieser Erzählung durch die vielen Kreuz- und
Ollerzüge dieses siebenjährigen Krieges zu be
gleiten, in den unzulänglichen Winterquartieren
mit ihm zu frieren oder im Schneesturm auf
Wache zu stehen. Diesem sowie der Gluthhitze
amerikanischer Sommer mit alle den Beschwerden
eines angestrengten Dienstes widerstand der
jugendkräftige Körper des alsbald zum Haupt-
mann und später zum Obersten avaneirten Barons
von Münikerode. Christian, der treu ergebene,
finbige Bursche des Offiziers, wußte hier nitb da
einen Vortheil für seinen Herrn wahrzunehmen,
dagegen nahmen die in die Heimath entsandten
Briefe des Junkers allemal einen Gruß an
Jlsaben mit, begleitet von dem Vermerk: „Es
geht dem Christian gut. Ob die schwarzen oder-
weißen Frauenzimmer ihn mit Blick und Wort
zu verlocken suchen, er schaut sich nicht nach
ihnen um."