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sie ein halblautes Zwiegespräch, untermischt
mit jammervollem Schluchzen. Gleich darauf
traten zwei Gestalten in ihren Gesichtskreis,
die blonde Hausmagd Jlsabe an der Seite ihres
Bräutiggms, des Grenadiers „Christian". Das
Mädchen gab dem Scheidenden noch eine Strecke
das Geleite, dann kam sie zurück, den Kopf mit
der blauleinenen Schürze verhüllt.
Fräulein von Loßberg schloß das Fenster, sehn
süchtig hatte sie auf Eckebrecht von Münikerode
gewartet, gehörte doch auch er zu den Offizieren,
welche freiwillig die ihnen unterstellten Mann
schaften begleiteten. Vielleicht ward sich das vom
Kinde zur Jungfrau heranreifende Mädchen erst
zur Stunde über die eigentlichen Gefühle seines
Herzens klar, gewiß ist, daß es dieselben
um keinen Preis fremden Augen offenbaren
wollte. Der laut kundige Schmerz der Dienst
magd wirkte auf die junge Herrin als Gegen
mittel ; lag doch eine stolze Herbheit ohne
hin in Agnesens Benehmen. Sie war groß auf
geschossen, aber noch ohne das ausgleichende
Ebenmaß späterer Jahre, alle ihre Bewegungen
vollzogen sich noch mit der ungelenken Heftigkeit
halberwachsener Menschen. Der häufige Tadel,
den sie sich durch die Eckigkeit ihrer Gliedmaßen
sowohl wie ihrer Ausdrucksweise zuzog, ließ sie
" äußerlich'kühl , kränkte aber ihre Seele, die in
übertriebener Wahrheitsliebe die liebenswürdige
äußerliche Form verachtete. Zwischen Nichte und
Onkel bestand das gute kameradschaftliche Ver
hältniß von ehedem fort, die weicheren Gefühle
ihres Herzens bewachte Agnese streng, selbige unter
rauher Schale verbergend.
Als Eckebrecht von Münikerode kurz darauf
den Hausflur betrat, stand Agnese in vollkommen
ruhiger Haltung vor ihm, nur ihre Stimme
zitterte ein wenig, als sie bat: „Onkel Eckebrecht,
schenke mir ein paar Minuten Deiner kostbaren
Zeit, bevor Du in den Familienrath trittst, wo
sie sicher ein ganzes Bündel guter Lehren für
Dich bereit halten."
Er sah sie mit feuchtem Glanze in den Augen
an, aus denen die verhaltene innere Erregung
sprach. „Na! mein guter Kamerad," sagte er,
mit der ihu beherrschenden Rührung kämpfend,
„so schieße nur los, viel Zeit habe ich in der
That nicht zu verlieren. Von Dir ertrage ich,
wie Du wohl weißt, noch am geduldigsten eine
Ermahnung, diesmal muß sie für lange vorhalten."
„Nein!" erwiderte sie mit lächelndem Antlitz,
ihre aufsteigenden Thränen niederwürgend: „Ich
habe es aufgegeben, aus Dir einen soliden Menschen
zu erziehen. Darum sorge ich lieber dafür,
daß Du einmal unbeschadet eine kleine Extra
vaganz begehen kannst. Muß denn dann und
wann einer Flasche der Hals gebrochen werden,
so leere sie auf mein Wohl, vielleicht beschützt
Dich das wie ein Talisman."
Während sie sprach, hielt sie ihre schmale Rechte
fest um eine seidene Börse geschlossen, durch deren
Maschen es goldig funkelte.
„Bitte, rede nicht davon", sagte sie erröthend,
das gewichtige Beutelchen in seine Hand legend.
„Dies Geld ist mein unbestreitbares Eigenthum,
aber ich mag nicht, wenn Jedweder mein Thun
und Lassen meistert."
Es muß zu Eckebrecht's Ehre gesagt werden,
daß in diesem Augenblicke das Gefühl dankbarer
Empfindung der Liebe, welche die Gabe bot, die
Freude an deren nicht unbeträchtlichem Werthe
überbot. Der stattlich herangewachsene junge Offizier
umschloß die Gestalt des schmächtigen Mädchens
mit beiden Armen, beugte das Haupt zu ihr
nieder und küßte sie auf den Mund. Agnese
ließ es geschehen ohne eine Bewegung der Abwehr
oder der Erwiderung. Es schauerte durch ihren
Körper wie die Vorahnung großen Glückes.
Zwei schwere Tropfen lösten sich von ihren
Wimpern und rannen langsam, ungetrocknet die
Wangen herab.
„Weine nicht", sagte er, ihr wie in den Kinder
tagen den Namen „kleine Braut" gebend. „Wir
bleiben mit einander verbunden wie die Maschen
dieses Strickwerks, welches Deine lieben Hände
für mich webten. Sollte aber ein großer Riß
das Zusammengehörige trennen und ich nimmer
zurückkehren, dann, Agnese, weihe meinem Andenken
wiederum ein paar Thränen."
Frau von Münikerode und Tankmar waren
nach Kassel gekommen, unt dort von dem Sohne
und Bruder Abschied zu nehmen. Die Baronin
war eine treue, liebevolle Mutter, die ihre Kinder
auf betendem Herzen trug, aber sie hatte stets die
Bürde eines großen Haushaltes und die Sorge
um die standesgemäße Erziehung ihrer Söhne
allein getragen. Dieser ihr Jüngster, der sich
augenblicklichen Einwirkungen widerstandlos hin
gab, konnte nur durch ernste Strenge geleitet
werden, und schon früh hatte sie ihn männlicher
Zucht anvertrauen müssen. Der Respekt, welcher
im Verkehr zwischen Eltern und Kindern zu
jener Zeit als selbstverständlich beobachtet ward,
trat ganz besonders in dem Verhältniß Eckebrecht's
zu seiner Mutter zu Tage. Dem Familienoberhaupte
zeigte er sich in Ehrfurcht unterthänig. Der
Schwester dagegen wandte er die überquellende
Liebe seines Herzens zu, ihrem milden Einfluß
gelang es, das sanguinische.Temperament des