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jetzt an einer Gelehrtenschule wirken zu können,
deren Ruf von Alters her ein ausgezeichneter
ist. Es besteht für mich kein Zweifel, daß es
mir gelingen wird, euch in den wissenschaftlichen
Gegenständen, in denen ich zu lehren habe,
rasch vorwärts zu bringen, dafür bürgt mir
schon der strebsame Sinn, der den Schülern des
hiesigen Gymnasiums nachgerühmt wird, aber
nicht darum allein ist es mir zu thun. Weit
mehr noch ist mir daran gelegen, daß ich mir
euer Vertrauen, eure Zuneigung erwerbe. Die
Quarta ist in Kassel meine Lieblingsklasse ge
wesen, möge dies auch hier in Fulda der Fall
sein. — So hatte denn doch noch kein neuer
Lehrer in Gegenwart des gestrengen Herrn
Direktors Dr. Bach zu uns zwar recht wilden,
aber leicht zu lenkenden Jungen gesprochen, und
von Stunde an waren wir unserem neuen
Lehrer in aufrichtiger Weise zugethan. Seine
hohe Gestalt, sein vornehmes Wesen, seine wohl
lautende Sprache machten außerdem noch großen
Eindruck auf uns, und als er nun seinen Unter
richt begann, — er lehrte damals in Quarta,
deren Ordinarius er in dem folgenden Sommer
semester werden sollte, Deutsch, Französisch und
Geschichte —, und sich in ganz anderen Geleisen
bewegte, als die seitherigen Lehrer, ja selbst uns
Quartanern die Unterrichtsgegenstände interessant
zu machen suchte, da hatte er uns in einem
Grade gewonnen, wie dies bei keinem unserer
damaligen Lehrer der Fall war. Er war unserer
Liebe sicher. Diese trat recht deutlich zu Tage,
als er in dem Winter 1838/39 an einem Brust
leiden erkrankte. Täglich ließen wir Quartaner
uns nach seinem Befinden erkundigen und als
er nach seiner Wiederherstellung wieder in unserer
- Klasse erschien, da begrüßte ihn der Poet der
Quarta, Friedrich Hornfeck, mit einigen artigen
Versen, was Franz Dingelstedt sehr hoch auf
nahm.
Das Wintersemester 1838/39 verfloß für
Franz Dingelstedt in Fulda ziemlich geräuschlos.
Er schreibt zwar in einem Briefe an seinen
Freund Friedrich Oetker in Kassel unter dem
22. November 1838 u. a.: „Fulda ist ein
lustiger Ort mit vielen Honoratioren. 93 Visiten
karten stecken an meinem Spiegel. In Fulda
giebt es einzelne, hübsche, alleinseligmachende
Gesichter. Daß es mich in Fulda giebt, ist den
Fuldaern annoch viel werth. Ich bin ein sehr
interessanter Mensch, man spricht im „Stift"
englisch, bei Marquis de Cubiöres französisch,
auf der Straße deutsch mit mir, und in Allem
bin ich gleich aimable"; doch darf man dies
nicht wörtlich nehmen. Sein Umgang war in
jenem Wintersemester nur auf eine geringe
Anzahl von Kollegen, sonstigen Beamten und
Offizieren beschränkt. Wahr ist allerdings, daß
er in dem freiadeligen Damenstifte von Wallen
stein und bei der legitimistischen französischen
Familie des Marquis de Cubieres eingeführt
und dort ein sehr gern gesehener Gast war.
Doch darüber werden wir an späterer Stelle
berichten.
Anders sollte es in dem Sommersemester 1839
werden. Alte Freunde und Universitätsbekannte
von Franz Dingelstedt trafen in Fulda ein und
nun begann auch hier seine Sturm- und Drang
periode, welche diejenige von Kassel noch weit
überbot. Sein burschikoses Wesen, sein Ueber-
muth und unter Umständen auch seine Rücksichts
losigkeiten kannten keine Grenzen mehr und aus
manchen seiner ehemaligen Freunde und Be
wunderer wurden Feinde und Neider, die nur
darauf lauerten, dem genialen „Kraftgenie",
wie sie Franz Dingelstedt nannten, einen Streich
zu spielen. Und die Gelegenheit dazu sollte
nicht ausbleiben.
Im Winter 1839/40 kam die Friese'sche
Theatergesellschaft nach Fulda. Dingelstedt war
mit derselben von seiner Studienzeit in Marburg
her bekannt. Er hatte damals einen Prolog
für dieselbe gedichtet, der bei der Uebersiedelung
dieser Truppe nach Gießen auch wirklich zum
Vortrage kam. Bei derselben befand sich als
erste Liebhaberin eine anständige junge Dame
von großem, zierlichem Wüchse und hübschen,
feinen Gesichtszügen, Fräulein Leonore Tresfert,
die auch in Familien Aufnahme fand. Man
munkelte damals, Dingelstedt habe sich mit ihr
verlobt. Ob und in wie weit dieses Gerücht
begründet war, vermag ich nicht zu sagen.
Dieser Truppe übergab Franz Dingelstedt ein
Trauerspiel „das Gespenst der Ehre", das am
21. Februar 1840 wirklich aufgeführt und von
den Fuldensern ausgepfiffen wurde, das Ge-
scheidteste was sie thun konnten und was sehr
für ihren guten Geschniack spricht, „denn freilich
ist es ein böses Stück", schreibt Julius Roden-
bcrg in seiner bekannten Studie „Franz Dingel-
stedt's Blätter aus seinem Nachlasse" (Berlin 1891).
Fünf Jahre nach jenem unglücklichen Abend
schrieb Franz Dingelstedt selbst unter dem Titel
„Ein Trauerspiel" die Geschichte desselben in
„Lewald's Europa" (Jahrg. 1845, I, 18). Wir
geben diese Geschichte hier wieder, bemerken aber
zugleich, daß wir dieselbe nicht der „Europa",
die uns nicht zu Gebote stand, sondern dem
eben angegebenen Werke von Julius Rodenberg
mit dessen gütiger Erlaubniß entnommen haben.
Die sehr interessante Schilderung dieser traurigen
Geschichte lautet:
„Dies Drama entstand Anno 1840 in der Stadt
Fulda, in Kurhessen gelegen, an dem Wässerlein