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eines neuen Superintendenten in Alleudorf ver
sammelten Pastöre bei der Regierung über die
vielfache Entheiligung des Sonntages, infolge
dessen auch im selben wie im darauffolgenden
Jahre, ferner 1642, 1649 und endlich 1651
scharfe Verordnungen dawider ergingen, ein
Beweis, wie wenig sie in den Kriegsjahren
fruchteten, bis endlich der Friede eine kräftigere
Handhabung verstattete.
Alles Kaufen und Verkaufen, Feldarbeit und
Hantirung wurden untersagt, ebenso das Umher
laufen in den Gassen und auf den Plätzen
während der Predigt. Das Scheibenschießen, —
denn die Schützcngesellschaften waren aus dem
Mittelalter her noch sehr im Schwang —, die
Kirmeßtünze, der Regierung ein Gräuel, deren
gänzliche Abstellung an der Zähigkeit scheiterte,
mit welcher die Bauern daran festhielten*), wurden
auf den Mittwoch gelegt, und den Wirthen wurde
strenge verboten, am Sonntag Gäste zu setzen
oder Trinkgelage zu veranstalten. Damit aber
die Leute nicht Zechens halber in die Gärten vor
den Thoren oder auf die benachbarten Ort
schaften liefen oder draußen ihren Geschäften
nachgingen, hielt man in den Städten die Thore
auch den Tag über bis nach geendigter Predigt ge
schlossen, um sie nur um 10 Uhr zum Austreiben
des Viehes kurze Zeit zu öffnen. Ohne besondere
Erlaubniß sollte niemand, wer er auch sei,
heraus noch herein. Außerdem wurden besondere
gut beleumundete Männer verordnet, denen sich
in den Garnisonstädten noch der Offizier der
Wache beigesellte, und die auf Straßen und
Plätzen, ja in den Häusern nachzusehen die Be-
fugniß hatten, daß die Verordnungen über die
Heilighaltung des Feiertages streng innegehalten
wurden, nicht blos von der christlich-deutschen,
auch von der jüdischen Bevölkerung. Denn wie
auch heute wieder benutzten die Juden damals
mit Vorliebe die christlichen Sonntage, um niit
dem Landmanne an diesem Tage Händel ab
zuschließen, und ihr Wucher war der ausgesvgenen
Bevölkerung so unerträglich, daß 1655 die
hessischen Stände in den Landgrafen drangen,
ihnen den landesherrlichen Schutz aufzukündigen.
Wilhelm VI., wie viele in dem Irrthum be
fangen, daß die Judenfrage eine religiöse sei,
glaubte dieses Volk durch besonders angeordnete
Predigten zum Besseren bekehren zu können, — wie
sich voraussehen ließ, ohne Erfolg. Die Hoffnung
aber, ihrer auf andere Weise los zu werden, erwies
sich als trügerisch. Denn als das Jahr 1666 heran
kann, glaubte mau allgemein, der Weltuntergang
stehe bevor, und zwar lediglich aus dem Grunde,
*) Daher noch heute die Redensartin Hesse»: „Laßtden
Hunden die Knochen und den Bauern ihre Kirmes:."
weil in dieser Jahreszahl alle römischen Zahl
zeichen (MDCLXV1) vereinigt waren. Deshalb
machten sich viele Juden aus Hessen und der
Nachbarschaft unter der Führung eines Messias
auf den Weg, um das verhängnißvolle Jahr im
gelobten Lande selbst zu erwarten. Als sie aber in
die Türkei kamen und ihr vermeintlicher Messias,
in türkische Gefangenschaft gerathen, gar zur
muhamedanischeu Religion übertrat, da wurden
sie irre und kehrten wieder um.
Um auf die Feiertagsheiliguug zurückzukommen,
so war es an vielen Orten das Vogelspiel, das
die jungen Leute alles Andere vergessen ließ,
an andern der sog.Kulrich, wie der Pfarrer Ran-
selius zu Nentershausen ein leider nicht näher
beschriebenes Spiel nennt.*) Dieser Kulrich
wurde mit solcher Leidenschaft gespielt, daß,
— wie der Pfarrer sagt —, „die Kinder und
das Gesinde von ihrem schuldigen Gottesdienst
nicht allein, sondern auch von ihrer Eltern und
Herren Diensten abgeleitet und zum Saufen
und anderen Ueppig- und Leichtfertigkeiten geneigt
und daraus zu schrecklichem Fluchen, Schwören
und mancherlei bösen Dingen vom Satan an
getrieben werden." Er bittet deshalb seine Pa
trone , die Herren von Baumbach, den Kulrich
kräftig zu verbieten, was bei einer Strafe von
zwei Gulden geschah. Seine Strenge gegen die,
wie es scheint, damals dem Trunk sehr ergebenen
Nentershäuser, — in deren Ort sich nach dem
Kriege nicht weniger als fünf schwunghaft be
triebene Brauereien befanden —, wäre aber dem
Pfarrer fast übel bekommen; denn ein besonders
widerhaariger Ortseinwohncr warf den ° alten
Herrn nächtlicher Weile, da er über einen Berg
ging, den Abhang hinunter, sodaß er lange zu
Bett liegen mußte.
Auf die Kenntniß des Katechismus wurde
strenge gesehen. Bei dem Katechisiren des Sonn
tags Nachmittags in den Kirchen, so wurde z. B.
auf einem Konvent der Klasse Gudensberg be
schlossen, solle der Stock gegen die pertinaces
pertubatores unter dem jungen Gesinde steißig
gehandhabt werden. Die Erwachsenen aber, die
beim Abendmahl oder beim Gevatterstehen ihren
Katechismus nicht wußten, konnten sogar einen
oder mehrere Tage deswegen in bürgerliche Haft
gebracht werden
Ja sogar wer unverbesserlicher Weise schwur
und fluchte, wanderte unter Umständen bis zu
14 Tagen bei Wasser und Brot in den Thurm
*) Aus den Auszeichnungen des Pfarrers Ranselius, mir
mitgetheilt von Herrn Landgerichtsrath B üff dahier.—Das
Spiel war wohl eine Art Kegelspiel; denn die Kugel heißt
auch hessisch K u l l e, daher kullern — kugeln, und Kulrich
oder Kullerich (f. G r im m's.Deutsches Wörterbuch unter
kollern, kullern.).