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Wo ist Rettung? Wo ist Hülfe,
Um des Halbmonds Macht zu brechen? —
Herr, der Du am Kreuz geblutet,
Sende Muth dem Christenheere! —
Da — am Gipfel des Verzweifelus,
Als der Schlachtruf Allah, Allah
Schon erklingt wie Siegesräuschen:
Zieh'n heran jetzt neue Schaaren.
Grüßt, ihr Wogen des Aegeus,
Grüßt das Flattern ihrer Fahnen
Mit dem krongezierten Löwen
Und dem Schwert in seinen Pranken!
Grüß', Euböa, diese Schaaren,
Hessens kampfgewohnte Helden,
Ha, wie ihre Löwenfahnen
Stolz voran den Reihe» wehen!
„Jesus, unser Feld- und Schirmherr", —
Rauscht's zum Takt der Trommelschläge;
Vorwärts geht's wie Sturmeswettern,
Wie die Flammen wilder Brände.
Ueber tausend Türkenleichen
Stürmen fort sie todesmuthig,
Bis am Marabut nur Trümmer
Starren aus dem Dampf des Blutes. — —
Negroponte ist genommen,
Und der Halbmond liegt im Staube,
Und des Kreuzes Glanz entsendet
Siegesgruß dem Wellenschaume.
Friedlich taucht der Aether wieder
In das Meer, das ewig schöne,
Während Frühroths-Rosenküsse
Schweben um Euböas Höhen.
tzark I>rcfer.
Eine Sage vom Uiedenstein.
Dort auf dem Niedensteine
Geht um ein Rittersmann,
Der schon seit vielen Jahren
Nicht Ruhe finden kann.
Die Lieb' zur alten Heimath,
Sie ist in ihm so groß,
Daß es ihn nimmer leidet
In fremder Lande Schovß. —
Und um die alten Mauern
Irrt er in stummem Schmerz,
Und längst vergang'ne Tage
Bewegen ihm das Herz.
Oft sitzt er zwischen Trümmern
Auf einem alten Stein,
Und seiner Väter Geister
Lädt er zum Zwiespruch ein.
Ein wundersames Flüstern
Hebt dann im Burghof an,
Und manche alte Märe
Man da vernehmen kann.
Es zittert durch die Lüfte
Wie Hifthorn, Schwerterklang.
Und von der Felsenklippe —
Tönt's nicht wie Minnesang? —
Das ist die alte Sage
Vom hohen Niedenstein.
Von seinem stolzen Gipfel
Sieht man in's Land hinein,
Und seine Felsenstirnc,
Ja, die vergißt man nie,
Dort blüht die blaue Blume,
Da thront die Poesie.
Der Wald mit seinem Rauschen
Umfängt ihn wie ein Kranz,
Es strahlt das Haupt des Berges
In goldnem Sonnenglanz! —
Mein Herz ist ihm zu eigen.
Dort ließ ich es zurück,
Die liebe alte Heimath.
Sie ist mein ganzes Glück! —
Schließ' ich dereinst die Augen
Und geh' zur ew'gen Ruh',
Dann zieht mein letztes Grüßen
Dem Niedensteine zu! —
Gotha. Hrnst Wolfgang Heß von Wichdorff.
Die vorletzte Nuiiimcr des „Deutschen Dichter-
heims- enthält unter dem Titel „Die Dichtung und
das Volk" eine geistreiche Arbeit von Hugo Rhein
länder, in welcher von den modernen Dichtern in
erster Linie unser hochgeschätzter Landsmann Carl
Preser als einer derjenigen aufgeführt wird, dessen
„sinnige Gedichte- in das Herz des Volkes eindringen
würden, weil er verstehe, „im Volkston zu schreiben".
Von dem Altmeister Ludwig Liebe sind nicht
weniger als bereits 25 Prcscr'sche Gedichte komponirl
worden, theils für Chöre, theils als Sololiedcr. Bei
dieser Gelegenheit wollen wir nicht unterlassen, unsere
Leser darauf aufmerksam zu machen, daß Carl Preser
eben ein neues Werk vollendete, welches unter dem
Titel „Heimathliche Bilder und Gestalten"
nächstens erscheinen wird. Das Gedicht „Negro
ponte", das wir heute bringen, ist dieser Sammlung
hessischer Balladen und Romanzen entnommen und
wurde zuerst in der letzten Nummer des „Dichter-
heims" veröffentlicht.
Aus Heimath und Fremde.