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hier zunächst bes chäftigen, war das Ländchen
persönliches Eigenthum des Statthalters Wilhelm,
dem es sein Bruder schon 1735 im Voraus ab
getreten hatte.
Diese Sonderstellung, die auch noch während
der ganzen Regierung Friedrich's II. blieb, indem
der spätere erste Kursürst ziemlich unabhängig
in Hanau residirte, brachte dem Lande jedenfalls
den Segen, daß mit einer besonderen Liebe und
Aufmerksamkeit über sein Wohlergehen gewacht
wurde.
So sehen wir denn auch, daß Wilhelm VIII.,
sobald er in den Besitz des Ländchens ge
kommen war, sich bemühte, die damals allent
halben in Aufnahme kommende Seidenzucht auch
hier zu fördern. Noch im Jahre 1736 ließ inan
die ersteil 2300 Maulbeerbäume aus Frankreich
kommen und im Hanauischen anpflanzen. Der
Kammerjunker Du Plessis, später der Hof-
marschall von Forstner hatten die Oberleitung
der ganzen Einrichtung. „Die Wartung der
Seidenwürmer und die Behandlung des Ge-
spinnstes geschah in der Behausung eines ge
wissen Aunand und theils in der Remise zu
Kesselstadt bei Hanau unter der Aufsicht eines j
Fabrikanten Namens Tessonier." ') Obgleich
nun diese beiden Namen darauf hindeuten, daß
es französische Hugenotten gewesen sind, die
diesen Erwerbszweig vorzugsweise pflegten, und
man vermuthen könnte, daß sie ihn auch im
letzten Viertel des 17. Jahrhunderts über den
Rhein gebracht hätten, so bleibt die Ehre, die
erste Seidenspinnerei gegründet zu haben, doch
einem Deutschen. Obwohl Seidenwaaren schon
vor 1720 in Hanau beliebt waren und daselbst
durch einen gewissen Denis Nolhac vertrieben
wurden, handelte es sich bis 1727 immer nur
um französische Waare. Erst in diesem Jahre
erschienJohann Christian Schreiber '), ge
bürtig von Langensalza in Thüringen, bei
Nolhac und erbot sich, ihm die benöthigten
Zeuge in Hanau selbst anfertigen zu lassen. Mit
großen Schwierigkeiten hatte Schreiber zu
kämpfen, bis Schlosser und Tischler nach seinen
Angaben alle nothwendigen Maschinen hergestellt
hatten. Dann begann die zweite Schwierigkeit,
die Arbeiter anzulernen. Die Lehrmeister fanden
sich nicht im Lande, man mußte suchen, sie von
auswärts zu gewinnen. Doch kam er endlich
soweit, eine eigene Fabrik anzulegen, zu der ihm
das Privilegium unter dem 15. August 1732
ertheilt wurde a ).
In welcher Weise man nun in damaliger
Zeit verfuhr, um eine Industrie in's Land zu
’) Nach Hanauisches Magazin von 1783.
2 ) Urkunde im Marburg er Staatsarchiv.
locken oder sie einem bestimmten Orte zu geben,
zeigt uns ein Aktenstück aus jener Zeit. In
Herbergen, au Landungsstellen der Boote auf
Rhein und Main und ähnlichen Orten wurde
ein „Avertissement" angeheftet, das sicherlich
manchem fahrenden Gesellen und manchem unter
nehmungslustigen Heimathslosen in die Augen
fallen mußte. Ein solches vom 5. Januar 1753
beginnt mit den Worten:
„Dem Publico wird hiermit zu wissen ge
macht, daß des regierenden Herrn Fürsten zu
Löwenstein-Wertheim hochfürstliche Durchlaucht
gnädigst resolvieret haben, in dcro am Main
zur Handelschaft sehr bequem gelegenen Orte
Klein-Heubach, ohnweit Miltenburg, allerlei
Fabrikanten gnädigst aufzunehmen, und den
selben, die sich in gedachtes (so!) Ort begeben
wollen, beträchtliche Freiheiten und Vortheile
zu cvncedieren."
Daran schließt sich daun eine sorgfältige
Schilderung der günstigen Lage von Klcin-
Heubach sowie eine genaue Angabe der zu er
wartenden Freiheiten.
Was dem Einen recht war, war dem Anderen
billig: die Landesherren suchten einander in
Versprechungen von Freiheiten zu überbieten,
und bei dem bunten Aussehen der damaligen
Landkarte von Deutschland kam es daun zu
allerhand Uuzuträglichkeiteu. Schon das war
eine mißliche Folge, daß über die allenthalben
angebotenen Immunitäten sich sehr bald in den
Köpfen eine ganz falsche Vorstellung festsetzte.
Während sie doch nichts weiter waren als eine
Form der staatlichen Unterstützung von Industrie
zweigen, die auch heute noch gewährt wird
(Rumänien z. B., das vor vier Jahren etliche
Zementfabriken anlegte, gewährte den Unter
nehmern zollfreien Eingang sämmtlicher Maschinen
aus Deutschland), sah man sie bald als eine
rein persönliche Belohnung und Auszeichnung
au, die gar nichts mit ihrem ursprünglichen
Zweck zu thun hatte. Wir haben beispielsweise
gerade aus Hanau Akten, daß die steinreiche
Wittwe eines Seidenfabrikanten, die fortan von
ihren Renten leben will, unverfroren um Weitcr-
gewähruug der Abgabeufreiheit einkommt, was
naturgemäß abschlägig beschicden wurde.
Es kamen aber noch andere Dinge vor,
welche den Fortgang der Industrie ernsthafter
bedrohten , und über einen solchen für die da
malige Zeit sehr bezeichnenden Vorgang soll noch
nach dem in Marburg liegenden Aktenmaterial
berichtet werden.
Im Jahre 1753 geriethen die Seidenfabrikanten
Hanaus in nicht geringe Aufregung, als rasch
hinter einander eine Reihe ihrer tüchtigsten Ar
beiter ihre Entlassung nachsuchten, um nach Berlin