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Hessische Dücherschau.
Geschichte Hugenottischer Familien. —
I. Die Familie Grandidier. Von Otto G e r -
land. S.-A. ans d. Ztschr. ^Die französische
Kolonie^, Jg. 1891. Berlin (E. S. Mittler
u. S.) 1891. II und 23 S. 40.
Bereits im Jahre 1653, also lange vor der
Aufhebung des Edikts von Nantes, wanderte Daniel
Grandidier aus seiner Heimath Sedan aus und
ließ sich zuerst in Heidelberg, dann dauernd in
Kassel nieder. Denn nicht erst nach der Aufhebung
des Edikts, sondern bereits lange vorher begannen
die Zwangsmaßregeln der französischen Regierung
gegen ihre reformirten Unterthanen, und schon während
des dreißigjährigen Krieges finden wir in Kassel
eine Anzahl französischer Familien, die um ihres
Glaubens willen das Vaterland verlassen hatten. Die
Graudidiers haben lange in der neuen Heimath geblüht;
leider erlosch die Familie im Mannsstamme, wie
bereits so viele französische Familien, in Hessen mit
dem Appellationsrath Johann Karl Grandidier im
Jahre 1890; dagegen blüht sie noch in einem
Nebenzweige im fernen Kurland fort. — Mit sel
tenem Fleiße hat Otto Gerland die reiche Familien
geschichte zusammengetragen, der u. W. selbst in
weiblicher Linie ein Nachkomme der Grandidiers
ist. Die veraltete und unübersichtliche Form der
Stammbäume mit ausgeschriebenen Namen ver
schmähend hat er überall die entsprechenden Zahlen
eingesetzt, sodaß ein jeder sich bei den gewissenhaft
angebrachten Verweisen mit Sicherheit und Leichtig
keit zurecht finden kann. Die Geschichte bietet zu
gleich eine reiche Fülle von Stoff für die Kasseler
bezw. hessische Familiengeschichte überhaupt; denn
ein Geschlecht, das nahezu drillhalb Jahrhunderte
mit zu den ersten der Hauptstadt gehörte, hat sich
in unzählige andere Familien hineinverzweigt. So
dürfen wir dem Herrn Verfasser für die gebotene
Gabe sehr dankbar sein und zugleich die Hoffnung
aussprechen, demnächst in ebenso mustergiltiger Weise
die Geschichte einer anderen Hugenottischen Familie
von ihm zu erhalten, der du Ry s, welchen Otto Gerland
ja auch von weiblicher Seite her angehört. Die
Bedeutung der französischen Einwanderung für Hessen
im Ganzen wird erst auf Grund zahlreicher solcher Einzel-
sorschungen erkannt werden können. K. Ur.
Deutsche Volkslieder. In Niederhessen aus dem
Munde des Volkes gesammelt, mit einfacher
Klavierbegleitung, geschichtlichen und vergleichenden
Anmerkungen heraus gegeben von Johann
Lew alter. Hamburg (Gust. Fritzsche). —
Heft III, VI und 74 S. 1892. 8°.
Das Volkslied ist der Prüfstein für das Verständniß
wahrer Poesie. Ein um die Sammlung und Erforschung
der Volkslieder hochverdienter, leider im letztvergangenen
Jahre dahingeschiedener Landsmann pflegte oft zu
erzählen, wie man ihn einst in vornehmem Kreise
um sein Lieblingsstudium befragt habe. Im Laufe
des Gespräches habe er dann eines der schönsten und
sinnigsten Volkslieder vorgetragen, und die Folge
war, — daß die Mehrzahl der Anwesenden ein mit
leidiges Lächeln nicht zu unterdrücken vermochten! In
ihrer Heimath war das Volkslied so gut wie un
bekannt; und schon oft hat man gehört, daß Fremde
aus dem Norden oder Osten des deutschen Reiches
überrascht sind, wenn sie abends unsere von der Arbeit
heimkehrenden Mädchen ihre Lieder laut in den
stillen Abend hinein singen hören. Allerdings muß
man auch das Volkslied singen hören! Das ge
sprochene übt nicht halb die Wirkung. Deshalb ist
es ein besonderes Verdienst Lewalter's, daß er,
der nun schon das dritte Heft seiner Volkslieder
sammlung hat erscheinen lassen, gleich die Melodien
in einfacher Klavierbegleitung beigegeben hat. Ist
er doch in der glücklichen Lage, für beide Seiten der
Volkspoesie das feine Verständniß zu besitzen, das
ihn in die Lage setzt, dem Volke seine Lieder ab
zulauschen und sie wiederzugeben, so wie sie sind,
ähnlich wie der vorsichtige Forscher den zarten
Schmetterling einsängt, ohne ihm die duftigen Flügel
abzustreifen. Ist doch auch dem Naturfreund die
wilde Blume draußen auf der Waldeshöhe viel lieber
und interessanter als die in den Garten gepflanzte,
welcher der Gärtner erst mit allerlei künstlichen
Mitteln geglaubt hat nachhelfen zu müssen. Da die
Lewalter'sche Sammlung bereits früher in diesen
Blättern ausführlich besprochen wurde, so dürfen wir
uns diesmal kürzer fassen. Es verdient jedoch bemerkt
zu werden, daß es dem eifrigen Forscher gelungen ist,
verschiedene Lieder seiner Sammlung einzufügen (jo
Nr. 5, 23, 34, 36), welche noch nirgends gedruckt vor
liegen. Glaubte doch z. B. der eingangs unserer
Besprechung angeführte verdiente Sammler nicht,
daß es möglich sein würde, den vorhandenen Schatz
noch zu vermehren. Es wäre nur zu wünschen, daß
Lewalter's hessische Volkslieder auch recht bei dem
gebildeten Theile des hessischen Volkes Eingang
fänden, zum Lohne sowohl für den Herausgeber wie
für den Verleger, deren Schaffen sicher ein recht
selbstloses genannt werden darf. Aber auch dem
hessischen Volksliede selbst würde eine recht weite
Verbreitung der Sammlung zu gute kommen.
Manchem wird damit das Verständniß für echte
Poesie aufgehen, nnd es dürfte dann nicht so leicht
wieder vorkommen, was vor nicht allzu langer
Zeit den Burschen und Mädchen eines nieder
hessischen Dorfes widerfahren ist. Als diese, ihre ge
wohnten Weisen singend, abends auf der Landstraße
spazieren gingen, wurden sie, — wir wissen nicht
von welchem grämlichen Denunzianten, — zur An
zeige gebracht und wegen groben Unfugs in
Strafe genommen! Das königliche Amtsgericht in