113
lrsuls.
r
II
Eine Geschichte aus Waldesgründen
von Wilhelm Speck.
c 'gn voller Herlichkeit war der Tag angebrochen,
As als ich den Zug verließ. Zu meinen Füßen
^ lag in Morgengluth getaucht die kleine Stadt
mit ihren zahlreichen Giebeln und Thürmen.
Der Frühschein glänzte in den Fenstern, er
umleuchtete die thaufeuchten Linden vor den
Häusern und warf sein schimmerndes Netz über
den Strom aus, in dessen Wellen sich liebliche
Gürten spiegelten. Während ich den steilen
Pfad in's Thal hinabstieg, begannen die Glocken zu
schlagen, und gleich darauf erklang vom Berge
jenseits eine feierliche Musik, welche der Stadt
musikus nach altem Herkommen als Morgen
gruß darzubringen hatte. Wie immer erweckte
auch dieses Mal die schöne waldumrauschte Stadt
in mir das Verlangen, hier Rast zu halten,
aber eingedenk meines Entschlusses, mich in welt
fernen Bergen und Thälern umzusehen, wider
stand ich diesem Wunsche und schritt schnell durch
die winkligen, mittelalterlichen Gassen, vorbei
an dem sprudelnden Brunnen mit dem Rolands
bild, hinaus auf die Landstraße. An einem
Bäumlein machte ich endlich Halt; die kühle,
klare Fluth war durch eine hölzerne Röhre ge
leitet und erquickte gerade einen Handwerks
burschen. Er fragte mich: „Wohin des Weges,
Kamerad?"
„Das weiß der liebe Gott," antwortete ich, „ich
gehe auf gut Glück."
„Das habe ich auch lange gethan, aber nun
bin ich bald daheim," erzählte er mit leuchtenden
Augen. „Bin lange unter den fremden Menschen
gewesen und komme nun abgerissen nach Haus."
Er zeigte mir einige Dörfer, welche an der
Straße lagen. „Es ist im Grunde eines wie das
andere", meinte er. „Wenn es dem Herrn auf
gute Verpflegung ankommt, so möchte der Weg
dahin zu empfehlen sein, wenn Ihnen aber daran
gelegen ist, einen schönen, schier unberührten
Wald zu durchwandern, so führt dieser Seiten
weg vorbei an der Mühle gerade mitten in die
Herrlichkeit hinein."
Ich dankte ihm und ging dem Walde zu.
Was ich dem Manne gesagt hatte, war die
Wahrheit, ich ging auf gut Glück. Als ich am
Morgen zum Bahnhof unserer Stadt eilte, wußte
ich noch nicht, wohin mein Geschick mich führen
würde, denn ich hatte beschlossen nach dem ein
förmigen, geregelten Leben für einige Wochen
ganz allein Laune und Zufall über mich ge
bieten zu lassen. Es war eine traurige Zeit,
! welche ich durchlebt hatte; aus der lieben Stadt
der Musen und der Wissenschaften wurde ich an
| das Bett meines vereinsamten Vaters gerufen
und kam gerade zur rechten Zeit, um seinen
letzten Händedruck zu empfangen und ihm einen
Platz neben der dunkeln Rose frei zu machen,
welche auf meiner Mutter Grab ihre Blüthen
verstreute. Aus den lichten Hörsülen der Uni
versität warf mich mein Geschick in die dunkeln
Kohlengruben der Firma Menger, und von dem
gemüthlichen Studiertisch versetzte es mich an den
Stehpult, auf welchem Rechnungen, Frachtbriefe
und allerlei Wunschzettel meines alten Buch
haltersin traurigem Durcheinander der Erledigung
warteten. Und nun gar unser liebes freund
liches Haus, war es nicht wie ausgestorben, und
verhallte nicht jeder meiner Schritte seltsam, so
daß man gar nicht mehr aufzutreten wagte?
Wenn ich Abends in dem stillen Hause saß,
dann fragte ich mich zuweilen: Könnte nicht
ein holdes Weib mir gegenübersitzen, welches
mich mit seinen freundlichen Augen aufrichtete,
und, wenn ich der kleinlichen Geschäfte des Tages
müde mich nach Ruhe sehnte, mir diese Ruhe
gewährte in dem trauten Frieden seiner Nähe?
Könnten nicht liebliche Kinder mich umspielen
und mit ihren zarten Händen mir das Haar
von der sorgenvollen Stirn streichen, mit ihrem
fröhlichen Geplauder diese öde Stille durchbrechend?
Aber wo fand ich diese Eine, diese Einzige,
welche ich mir wohl in die traulichen Räume
wünschen könnte, in welchen meine theueren Ent
schlafenen einst gewohnt, Glück und Leid mit
einander getragen hatten? Wenn ich mich solchen
Gedanken hingab. dann war es mir freilich kein
Trost, die schlürfenden Schritte meines Haus
drachens neben mir zu hören und von der alten
Frau mit argwöhnischen und prüfenden Blicken
beobachtet zu werden. Ich konnte es nicht mehr
leugnen, dieses Jnventarienstück unseres Hauses
hatte sich einen bevorzugten Platz ausgesucht,
oft genug ertappte ich mich dabei, wie ich mit
den unsicheren Augen eines Knaben nach meiner
früheren Pflegerin ausspähte, und ich fühlte,
daß jeder Tag meines einsamen Lebens mich
tiefer in die Abhängigkeit bringen würde. Ach
Christinchen, wenn Du wüßtest, wie hart Deine
liebevolle Fürsorge mir geworden ist! Was
wird sie sagen, wenn sie das Nest leer und den
Vogel ausgeflogen findet? Wird sie es ahnen,
daß dieses der erste Schritt zur Freiheit ist? —