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gewordenen Wahrheiten von irdischer Vergänglich
keit, von sterblicher Schwäche und Unvollkommen
heit von Neuem ableite, aber gewiß hat es
jeden von uns kalt angerührt, so ost die Nach
richt erscholl: Auch der ist hinüber, gleich als
habe der Fittich des ernsten Engels im Vorbei
schweben die eigene Stirne gestreift und gezeichnet,
und wie oft bebte nicht von einer nachweinenden
Lippe die bange Frage: Wen werden wir nun
als den Nächsten hinaustragen in die Stadt,
von wannen Niemand wiederkehrt, die stille
Stadt mit den eisernen Thoren und dem
gellenden Sterbeglöcklcin? Wie heilsam, wie
nothwendig, aber wie schneidend und schrecklich
zugleich der Widerspruch im menschlichen Leben,
daß die nächste Stunde so tiefe Eindrücke wieder
verwischt, daß dicht neben der Trauer um unsere
Verlorenen, unmittelbar nach den durchweinten
Nächten des ersten Schmerzes die alltägliche
Pflicht mit grauendem Morgen wieder an die
Fenster pocht, die unerbittliche Gewöhnlichkeit
ihre Ansprüche an uns wiederum geltend macht.
Dem inneren Auge verschwindet bald das liebe
Bild, wenn cs die äußere Anschauung nicht mehr
auffrischt, die Lücke füllt sich, und weil kein
Stillstand in der Maschine sichtbar oder fühlbar
wird, meinen mir in oberflächlicher Beruhigung,
nun sei Alles im alten Geleise.
Die Hand auf's Herz, meine Herrn — ist cs i
nicht auch diesem Todten so ergangen? Der
Weg zu seinem Grabe, den wir vor kaum drei
Wochen gewandelt sind, liegt er nicht verschneit,
verlassen, unbetreten, wie sein Gedächtniß ver
deckt und versenkt in die Tiefe eines fahrlässigen |
Sinnes, der die Mahnung an den Tod sich!
gern und gewaltsam fern hält? Und doch wer
ist mehr als Bach uns Allen gestorben? Ihnen,
weil er in wissenschaftlichem und staatlichem
Gebiete neben Ihnen, vor Ihnen, nach Ihnen
schritt, weil Sie Kinder oder Brüder seiner
Leitung anvertrauten, weil seine Gesinnung,
seine Kenntniß Ihnen werth war. Uns Lehrern
und Schülern . . . . o, ich brauche ja nicht zu
wiederholen. wie und warum er uns starb!
Wohlan, Sie alle zu seinem Ehrengedächtniß
hier Versammelten, die in diesem Augenblicke
ein gemeinsames Gefühl zu Freunden macht,
wie fern Sie einander auch stehen mögen, lassen
Sie einen so theuren Hort nicht in schmählicher
Vergessenheit versenkt bleiben; entreißen wir sein
Bild, seinen Namen, seinen Geist nicht blos in
augenblicklicher Rührung, sondern in standhafter
und treuer Anhänglichkeit den Fluthen einer
achtlos und zerstörend über alle Gräber brausenden
Gleichgültigkeit, stiften wir einen Bund zu seinem
Andenken, indem wir einander herzlich zu dem
selben verpflichten und fleißig anhalten! Das
Leben eines Schulmannes — so sprach es
neulich an dem geliebten Grabe unser _ ehr
würdiger Aeltester aus — ist arm an äußeren
Ereignissen, arm an Glanz und an Triumph
vor der Welt, aber es ist dennoch darum ein
scgenreiches, ist tief und unmerklich in viele
Gencrazionen verzweigt und mit den Herzen
guter Familien innigst verwachsen. So sei denn
auch sein Tod ein still aber tief empfundener,
ein leise aber laug beklagter, sein Name ein
bescheidener, fester, gesegneter, sein Gedächtniß
ein unvergängliches in Liebe und Dankbarkeit.
An wen kann ich diese letzten Worte näher
und beschwörender richten, als an Euch, meine
jungen Freunde, die ihr seine, unsere, meine
Schüler heißt? An diejenigen unter Euch zumal,
die unbewußter Kindlichkeit bereits entwachsen,
die gefährliche Gabe der Unterscheidung schon
besitzen oder doch zu besitzen glauben, die das
ernste werdende Leben schon an manche Gräber
gestellt hat, Gräber von Eltern, Lehrern und
Jugendgenossen, die endlich dem Verewigten
selbst und persönlich verbunden waren — an
Euch, wackere Zöglinge unserer Prima und
Secunda! Fürchtet keine Vermahnung, keinen
misbilligenden Wunsch, keinen versteckten Tadel;
sic sollen den wehmüthigen Eindruck dieser
Stunde nicht beeinträchtigen. Das Beste und
Eindringlichste, was ich Euch in derselben zu
bieten vermag, ein köstliches Fidei-Kommiß
Eures seligen Freundes, ist ein seinem Ernste
selten entfallendes Lob, ein Ausdruck der
Freude über den in Euch vorhandenen wissen
schaftlichen Geist und Eure anerkenncnswerthe
sittliche Haltung. So sprach er sich aus in einer
seiner letzten Unterredungen mit mir, und ich
müßte mich schlecht auf Euer jugendliches Herz
verstehen, wenn nicht sein richtiger Sinn darin
gleich kräftigen Lohn und Sporn fände. Wollt
Ihr ihn erhalten, diesen von dem verklärten
Meister an Euch mit Wohlgefallen wahrge
nommenen Geist, den Geist der Ordnung, des
Eifers, des Anstandes, des wahren Ehrgefühles?
Nicht blos erhalten, bis Ihr aus dem Banne
der Schule geschieden seid, sondern auch unter
Euch, den in das Leben Ziehenden, und unter
diesen, den uns länger Verbleibenden? Wird von
Euch, von Bachs letzten Jüngern, von denen,
die ihn zur Gruft auf eigenen Schultern trugen,
sein Geist, nicht im todten Buchstaben des Ge
setzes, in der Form und Zucht der Schule, nein
sein Geist in der Wahrheit und in der Liebe
übergehen und fortstreben wie eine Seele im
Körper der von ihm regenerirten Anstalt? Und
empfindet Ihr nicht schon jetzt in dem wohl
thätigen Bewußtsein erfüllter Pflicht, welches
Eure Wange höher färbt, daß dieser Geist ein