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Tage verwickelt, schnell genug gehörte Hahndvrf
in den Reihen der Streiter für des Volkes Rechte
zu denVvrdersten undKühnsten. Nicht dasSchwert
aber war die Waffe, die der äußerlich gar un
ansehnliche zwerghafte Kämpe mannhaft führte,
sondern die Feder. Schriftstellerisch zum ersten
Male bediente er sich derselben im Jahre 1831
und von Tag zu Tag mit solchem Handwerks
zeug vertrauter werdend, hat schließlich sie ihn
ganz dem Berufe eines Literaten und Publizisten
zugeführt. Als solchen und zwar als Heraus
geber des Kasseler Blattes „Ter Beobachter"
erwähnt ihn auch 1877 noch in seinen Lebens-
crinnerungen Fr. Oetker. „Hahndorf — schreibt
dieser — war und blieb eine der eigenthüm
lichsten Erscheinungen in Kassel. Eigenthümlich
war auch seine Darstellungsweise, sein Stil.
Jüdischen Glaubens, freisinnigen Wesens, red
lichsten Willens, klein von Gestalt aber groß an
Eifer, hatte er stets den Muth der Ueberzeugung
und des Selbstbewußtseins. Seine Antheilnahme
an den öffentlichen Angelegenheiten war um
fassend; selbst eine längere Freiheitsentziehung
giebt davon Zeugniß. Nie hat er eine öffentliche
Stündesitzung versäumt. Abgeordneter war er
zwar nur kürzere Zeit, aber als Berichterstatter
fehlte er niemals, selbst ein starkes Augen
leiden hielt ihn nicht ab, aus seinem besonderen
Sitze zu erscheinen. Sicher kann kein Zweiter
etwas Achnliches von sich behaupten. Er hat
alle kurhessischen Bersasfungen überdauert, alle
Volksmänner von 1830 überlebt und ist noch
fortwährend auf dem Platze, wenn die hessischen
Stände in Kafsel versammelt sind. Habndors
ist gewissermaßen ein Wahrzeichen Kassels ge
worden."
„Ter Beobachter" war übrigens nicht das ein
zige journalistische Unternehmen, an welchem
Hahndorf während seines langen Lebens als
Herausgeber oder Mitarbeiter betheiligt ge
wesen.^ Auch die „Hornisse" brachte Manches
aus seiner Feder, und eines seiner liebsten
Muscnkinder waren die „Kasseler Blätter für
Geist und Herz". Politik war Hahudvrf's bevor
zugtes Thema, aber ost genug ersetzte er auch
den Feuillctonisteu und den schlichten Lokal
reporter oder Berichterstatter. Später, als ihm
durch das Vertrauen seiner Mitbürger das Amt
eines Kurators an dem Kasseler Kredit-Verein
ständig übertragen war, befchräuktc sich seine
journalistische Thätigkeit fast ausschließlich auf
die Mitarbeiterschaft an der bei Baier & Lewalter
erschienenen, nun schon seit einer geraumen Reihe
von Jahren eingegangenen „Kasseler Tagespost".
Auch mit der auswärtigen Presse brachte Hahn
dorf sein publizistisches Wirken in sehr vielfache
Berührung und Beziehung, trotzdem er persön
lich seine Vaterstadt niemals mit einem anderen
Wohnsitz vertauscht. Von ihm rührten nicht
zum Wenigsten die Korrespondenzen in der deutschen
Tagesliteratnr her, welche zu kurhessischer Zeit
die Welt au fait hielten über die Ereignisse in
dem politischen Versuchslaboratorium zu Kassel.
Nächst seinen heimathlichen Interessen erweckte
deshalb Hahudvrf's ganze Antheilnahme, auch
Alles, was das gesammte deutsche Journalisten-
thum, die deutsche Presse, anging. Ihr Wohl
und Wehe betrachtete er auch als das Seiuige.
Als daher vor zwanzig und mehr Jahren die Helden
von der Feder sich zusammenthaten, um in dem
deutschen Journalistentag eine Vereinigung zu
schaffen, war Hahndorf mit der erste auf dem
Platze. Kaum eine der seit jener Zeit stattge
habten Journalistenzusammenkünste versäumte
unser Vcrterau der Publizistik. Innig verwachsen
mit der politischen Entwickelung seines Heimath-
landes, ist Hahndorf's Persönlichkeit sogar von
einer gewissen literarhistorischen Bedeutung, denn
ihm verdanken verschiedene hervorragende hessische
Schriftsteller ihre erste Schulung. Ob aus der
Höhe des Parnassus sich die Betreffenden einmal
dankbar nach dem alten Führer umgeschaut, weiß
ich nicht zu sagen. Selbstständige Werke hat
Hahndorf mehrere verfaßt, doch ist das Meiste
schon der Vergessenheit anheimgefallen und ver
altet. Bekannter nur ist eine kleine Broschüre
„Was sich die Karlsaue erzählt", dann „Anek
doten und Eharakterzüge Napoleons", gesammelt
von einem Offizier der damaligen französischen
Armee. (Mit 17 Abbildungen von Horaee Vcrnet.
Kassel 1847. Verlag der I. Luckhardt'schcn Buch
handlung.)
Am umfassendste» waren seine Kenntnisse über
die Lokalgeschichte Kassels und dessen Kommunal-
Verfassung. Hier ersetzte Hahndvrf geradezu jedes
Handbuch; ein lebendiges Lexikon, wußte er,
wenn Niemand mit einer Sache vertraut war,
gewiß darin Bescheid. So kam es denn, daß
Freund und Feind sich bei ihm Rath erholten,
und selten hat er ihn verweigert. Setzte er doch
auf den Schatz seiner reichen Erfahrungen und
ihre Verwerthung den größten Stolz, lieber
seine Antheilnahme an der Politik, die ihn der
einst auf fünf Monate hinter Schloß und Riegel
ins Kastell geführt, hat der alte freisinnige Herr
im Jahre 1878 und 187!» noch im Arbeitcr-
fortbildungsvereine einen Ehclus von zwölf Vor
trägen gehalten, die namentlich die älteren Seit =
genossen höchlichst interessirten. Dem politischen
Leben der Neuzeit wußte der Held von 1831
und 1848 wenig Geschmack abzugewinnen, zumal
er wegen der Betheiligung au den Wahlagitationen
1870 mit den nichtswürdigstcn Gehässigkeiten
und gemeinsten anonymen Zuschriften eine Zeit