Albrecht KhrLstian Uuöwig von Karöeleben.
Kurfürstlich Hessischer Generallieuteuant.
1777-1856.
Ein Erinnerung-Mail von E- v- Stsmsorö.
(Fortsetzung.)
Rußland 1812.
Von Wilna bis Thorn.
Auf dem Marktplatze der Stadt, welche den
Bruchstücken der großen Armee das Dasein gast
freundlich erhalten hatte, fanden sich die Offiziere
und etwa 200 Mann des 4. westphälischen
Regiments, die Hälfte der am Tage zuvor Ein
gerückten, im Morgengrauen des 10. Dezembers
bei ihren Gewehren ein. Das Regiment erhielt
keine Befehle, daher folgte es dem buntscheckigen
Strome, welcher auf der Straße nach Kowno
dahinzog; „das Wrede'sche Korps schien
sich aufgelöstzu haben," bemerkt Bardeleben
zu dem Abzüge von Wilna*). Die Nachhut
*) In betn Werke „Feldmarschall Fürst Wrede von I.
Heilmann, K. B. Generalmajor und Brigadekommandeur.
Leipzig 1881." heißt es S. 239: »Den Bemühungen Wrede's
und seiner Offiziere gelang es in der schrecklichen Ver-
wirrung der Nacht vom 9. aus den 10. Dezember, allmählich
wieder eine kleine Schaar Baiern zu vereinigen, aber es
waren nicht mehr als 300 Mann Infanterie und einige
20 Chevauxlegers, die sich am Morgen des 10. Dezembers
auf dem Platze vor dem Wilnaer Rathhause versammelten;
die hessischen und westphälischen Regimenter
hatten sich in der Nacht gänzlich und für immer
aufgelöst . . Es erscheint befremdend, daß Baiern
und Westphalen am Morgen des 10. Dezembers von
einander keinerlei Kenntniß gehabt haben sollten, da doch
anzunehmen ist, daß „vor dem Rathhause" und „auf dem
Markte" einen und denselben Platz bezeichnen. Die beiden
kleinen Truppenkörper bestanden noch und leisteten während
der letzten zersetzenden Periode des Rückzuges, von Wilna
bis zum Riemen, der Flüchtlingsmasse aufopfernde herrliche
Dienste.
In dem angegebenen Werke heißt es in Note 14 zum
4. Kapitel des 2. Buches: Der Augenzeuge Fürst August
Taxis erzählt in seinem Tagebuch, daß er am Morgen
des 10. Dezembers beim Abmarsche von Wilna dem
Oberst des tvestphälischen Infanterieregiments begegnet
sei und daß dieser die beiden Fahnen seines Regiments
mit sich auf seinem Pferde fortbrachte, weil er keinen
einzigen seiner Leute mehr hatte, uin solche zu tragen".
Wir hörten oben, daß der Oberst Rossi krank war, es
könnte also Oberstlieutenant Gauthier dem Fürsten Taxis
begegnet sein; Bardeleben würde unzweifelhaft eine so
wichtige Thatsache, wie die Bergung der Fahnen, verzeichnet
bildete das Frankfurter Regiment, welches seither
in Wilna als Besatzung gestanden hatte; es
hatte noch in der Nähe der Stadt ein verlust
volles Gefecht mit Kosaken zu bestehen. Eine
Wegstunde von Wilna entfernt war die ziemlich
steile Anhöhe des Ponaryberges zu ersteigen,
doch die Straße durch Glatteis äußerst beschwer
lich, sodaß viele Hunderte von Fuhrwerken in
wirrem Durcheinander am Fuße der Höhe standen
oder lagen, welche nicht die Steigung erklimmen
konnten. Sie wurden geplündert und wo sich
Kleidungsstücke oder Lebensmittel befanden, diese
genommen, die Kassen mit Gold und Silber
gering geschätzt, und wenn doch Einzelne sich mit
dem begehrten Metall beluden, so warfen sie es
meistens wieder weg, da es das Fortkommen
hinderte. Die Westphalen kletterten auf einem
durch Gestrüpp führenden Seitenpfade den Ponary-
berg hinan, dann marschirten sie bis in die
niedersinkende Nacht fort , als bei den Resten
und Grundmauern einiger abgebrannten Häuser
Marschall Ney die Truppen anhielt und sie
Stellung nehmen ließ; es war die von I. Heil
mann angegebene bei Jewe. Das zusammen
geschmolzene Regiment Frankfurt zog vorüber
und ging weiter zurück. Wieder hatten die 4.
Westphalen die Ehre, die letzten gegen den Feind
zu sein! Nach einer Stunde zeigten sich auch
Kosaken, betrachteten das Häuflein und die hoch
lodernden Biwakfeuer, unschlüssig was sie thun
sollten. Da die Westphalen keine Unruhe zeigten,
auch die geordneten blitzenden Bajonette hinter
den Flammen nicht einladend wirken mochten,
richteten die Reiter vom Don in einer Ent
fernung von etwa 1500 Schritten ihr Biwak
haben, wenn sie ihm selbst gelungen wäre. Taxis war
Generalstabsoffizier beim Fürsten Wrede, führte das Tage
buch beim Rückzüge und seine Angabe ist daher zu be
achten. Daß aber noch Leute des westphälischen Regiments
zum Tragen der Fahne am 10. Dezember vorhanden
waren, wissen wir.