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Küche gegenüber. Zuerst spricht keins ein Wort,
dann zieht sie ihn an der Hand in die Küche
und sagt. einen Topf vom Feuer rückend in ge
dämpftem Ton : „Wer hätte das vor vier Wochen
gedacht, Konrad! Hast Du durch einen Alten
brunner davon erfahren?"
„Das Bärbchen hat es mir eben erzählt.
Weiß Gott, warum mir meine Mutter —"
Martlis fällt ibm ins Wort.
„Die sollte Dir jetzt noch nicht schreiben, was
geschehen ist, ich sagte es ihr beim Fortgehen.
Denn siehst Du. Konrad, wir können ja doch
nimmermehr zusammen kommen, wenn ich nicht
will, daß dem Vater das Häuschen verkauft
wird. Nur weil ich versprochen habe, für die
Zinsen aufzukommen, hat der Katz noch Frist
gegeben und der Pfarrer beim Bürgermeister
für uns gutgesprochen. Ich müßte mich ja
todt schämen, wenn ich nun mein Wort nicht
hielte und mit Dir ginge".
Sie hält tiefathmend inne, und wie sie den
Burschen nun flehend anschaut, wird er erst ge
wahr. wie bleich ihr ernstes Gesicht ist, wie
dunkel umrandet die sonst so hellen braunen
Augen sind. Da bricht er in stürmischer Be
wegung, die fremde Umgebung vergessend, los:
«Martlis, und wenn ich Dir nun sage, daß Du
nicht nur die Zinsen, daß Du das ganze Kapi
tal bei Heller und Pfennig bezahlen kannst,
willst Du auch dann nicht mit mir gehen?
Wenn ich Dir sage, daß Du über Nacht ein
reiches Mädchen geworden bist?" Und ihre Be
stürzung sehend, fährt er eilig fort: „Martlis,
hast Du das Loos noch, das ich Dir vor vier
Wochen schenkte?"
Ein jäher Schreck durchzuckt ihre Glieder,
wortlos holt sie aus der anstoßenden Kammer
ihr Gesangbuch herbei und schlägt es auf.
Sorgfältig getrocknet liegt die Unglücksnummer
bei dem Lied: „Befiehl Du Deine Wege", und
Konrad spricht darauf deutend mit bebender
Stimme: „Du hast einen Landauer und zwei
Pferde damit gewonnen, Martlis!"^—
Die Frau Regierungsrath von Thielemann
macht ein recht strenges Gesicht, als sie ihr neues
Dienstmädchen in den Armen eines herrschaft
lichen Kutschers findet, aber sie wird rasch um
gestimmt, als die Brautleute ihr abwechselnd
erzählen, was sich ereignet hat und sagt schließ
lich mitfühlend:^ „Ich hätte Dich gern länger
behalten. Lisbeth —" Martlis klingt ihr und
den Ihrigen zu hart und bäurisch — „aber
Deinem Glück will ich nicht im Wege stehen,
Du magst Neujahr nach Hause gehen." —
An dem ersten Maisonntag des nächsten
Jahres halten Konrad und Martlis Hochzeit.
Sie hat nicht früher gewollt, des Vaters wegen,
dessen Fuß wieder einmal schlimm gewesen ist.
und um der kleinen Geschwister willen, die sich
erst allmählich an die alte Base gewöhnt haben,
die nun den Haushalt führt. Das Warten hat
den Beiden auch nichts geschadet, das denkt
jeder, der das schmucke Paar vor dem Altar
der Altenbrunner Kirche stehen sieht, und es
bedarf kaum der warmen herzbewegenden Trau
rede des Pfarrers, um die Bauern mit Theil
nahme für die jungen Leute zu erfüllen. Diese
aber hören nichts von dem beifälligen Geflüster,
welches das Herz der alten Frau Mai mit freu
diger Genugthuung berührt, dazu sind sie zu
ergriffen von dem Ernst der Stunde. Martlis
läßt ihren Thränen freien Lauf, als sie sich an
alles das erinnert, was zwischen dem Nachmittag,
an dem die Schäferssrau begraben wurde und
dem Morgen liegt, an dem sie dem Jakuf Katz
und dem Bürgermeister die Schuld ihres Vaters
in blanken Goldstücken zurückzahlte, und Konrad
ist zu Muthe, als stünde er unmittelbar vor
dem Throne des Königs aller Könige, als er
noch einnial an der Kanzel die Worte liest:
„Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott!" —
Drei Wochen nach feiner Hochzeit, an einem
wunderschönen Frühlingsabend, fährt er den
Rittmeister, der einen Tag in Rotenburg zu
Besuch gewesen ist, im offenen Wagen zur
Stadt zurück. Der Offizier ist in bester Stim
mung, Familie und Pferdestall des Vetters
haben ihm mehr denn je gefallen, und ganz be
sonders erfreut hat ihn die junge hübsche Frau
Mai mit dem prachtvoll duftenden Fliederstrauß,
den sie ihm bei der Abreise mit Worten über
strömender Dankbarkeit gereicht hat. Zufrieden
betrachtet er den glücklichen Konrad, der gar
nicht weiß, wie er den angebeteten Herrn schnell
und sanft genug über die holprige Straße hin
bringen soll. und ein Gefühl der Rührung be
schleicht sein Herz, als er denkt: „Und das alles
um ein lumpiges Loos, das noch obendrein
Nummer dreizehn hatte!" —