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Euch schütz' und liebe der,
So in den Wolken thront.
Lebt wohl ihr meine Freunde,
Denkt oft an mich zurück,
Und hinterlaß ich Feinde,
Die segne das Geschick".
Nun müssen die Grundsätze, die wir oben
aussprechen hörten, durch die That bewährt
werden. Nicht immer heiter ist ja der Blick
in's Philisterium, aber ein Arzt z. B. tröstet
einen anderen mit der Bemerkung: „krospora
msdieorum 8o1 adspicit, adversa tellus tegit“.
Diesen Aufsatz aber will ich mit dem Wunsch
schließen, daß auf ihn ein Eintrag in einem
Stammbuch nicht anwendbar sei, der da lautet:
„Multa sunt scribilia, quorum nulla sunt
scientia“.
linlernacht.
Von H. Keller-Iorögn.
Er war die Treppen hinunter gestürmt, ohne
Abschied von ihr zu nehmen. Die wenigen
Worte, die er zurückgeschleudert hatte, mochten
wohl ein solcher gewesen sein, sie klangen ihm
dumpf in den Ohren nach, aber er entsann sich
ihrer nicht mehr. Unten in der Straße wehte
ihm kalte, blasse Winterlust entgegen; er zog den
Pelzkragen seines Rockes in die Höhe und eilte
von Straße zu Straße. Erst als er auf der
Brücke stand, gewahrte er, daß er nicht den
Weg genommen hatte, der zu seiner Wohnung
führte. Aber er blieb stehen und blickte starr
in die schwerfällige Wassermasse, die sich frostig
und träge in ihrem Bette wälzte. Ueber ihm
hing die fahle Mondkugel in der flimmernden
Luft —, ihr Licht fiel auf die gothischen Kirch-
thürme im Hintergründe, lag über den gereiften
Aesten der Bäume — und streifte auch ihn.
Sein Herz war voll Groll gegen sich selbst,
gegen das Weib, das er verlassen hatte, gegen
die ganze Welt! Wenn sie den Andern nicht be
gehrte, warum stand sie dann kalt und blaß
seinen Vorwürfen gegenüber, warum rechtfertigte
sie sich nicht und reizte ihn zum Aeußersten?
Gewiß, sie war der darbenden Zeit müde, in
welcher sie sich mit ihm begnügte und wollte
nicht mehr warten, bis er sie zu der Seinen
machen konnte. Sie war ein Weib wie Alle
— er wußte es. Noch niemals hatte sie so
trotzig seinen Vorwürfen gegenüber gestanden,
als heute. Er konnte sich so etwas nicht bieten
lassen, er war Mann und dieser ewigen Reibereien
müde.
Er hatte regungslos in das Wasser gestarrt,
aber jetzt wandte er sich ab; es war ihm plötz
lich, als tauche aus der eisigen Tiefe ein dunkler
Frauenkopf mit großen, räthselhaften Augen und
blassem, zitterndem Munde. Daß er auch immer
an sie denken mußte Verächtlich!
War denn Grete die Einzige in der Welt?
Gab es nicht Schönere, Jüngere, Nachgebendere
genug, die ihn, den Künstler, mit offenen, warmen
Armen aufnehmen würden — und ihn lieben?
Die sich nicht eigensinnig abwenden und es ver
weigern würden, ihm Rede und Antwort zu
stehen? Er ging mit großen Schritten weiterund
wußte es nicht. Das breite Gemäuer ihm gegen
über lag starr inmitten der großen Schneeflocken,
die der Wind jetzt durch die Nacht trieb — und
die Gasflammen, die hier und da aufflackerten,
glichen Irrlichtern, die ihn lockten und äfften.
Gewiß, er hatte recht gehabt, sie zu lassen.
Er war diesen ewigen Jammer müde. Sein
Beruf, seine Männerwürde, alles litt darunter.
Er hatte mit den kurzen Worten, die von seinen
Lippen jagten, als er sie verließ, sich heldenmüßig
benommen, er durfte sich das eingestehen. Ein
selbstzufriedenes Lächeln, das seine Lippen theilte,
verzerrte sein Gesicht, als ob seine Gedanken aus
fremdem Herzen kämen.
Er blieb stehen. Wo war er hingerathen?
Er lauschte. Leise, nächtliche Stimmen schlichen
sich an sein Ohr und gaben der starren Oede
ein seltsames Leben. Mau hörte zwischen dem
Huschen verirrter Thiere das schwerfällige Tropfen
der nahen Quellen, die gleichmäßig, ob Tag ob
Nacht, mit ihrem spärlichen Wasser die Steine
feuchten.
Er glaubte Menschen zu sehen und Stimmen
zu vernehmen, die seinen Namen riefen.
Wenn es Grete wäre, die ihn suchte? Einen
Augenblick war es ihm, als lege sich eine sanfte
Hand auf sein gequältes Herz.
Er hatte sich getäuscht; es waren die Thürme
der Kirche, die er im wirbelnden Schnee für
Menschen gehalten hatte. Und die Stimme?
Er ärgerte sich über sich selbst, daß er an sie
dachte! Aber hier, gerade hier oben in den ein
samen Wegen drängte sich ihm die Erinnerung
an unzählige Sommerabende auf, die er mit ihr