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Maria war Mutter dreier Söhne: des späteren
Landesherrn Wilhelms IX., geboren am 3. Juni
1743, und der nachherigen Landgrafen Karl,
geboren am 19. Dezember 1744 und Friedrich,
geboren am 11. September 1747.- Der erstge
borene Sohn Wilhelm war ihr schon nach einem
halben Jahre am 1. Juli 1742 zu ihrem großen
Schmerze durch den Tod wieder entrissen worden.
Durch die Religionsassekurationsakte vom 28. Okt
1754 wurde die Einwirkung des Vaters auf die
Kinder beseitigt und die Mutter zu deren Vor
münderin unterObervormundschaft ihresSchwieger-
vaters bestellt. Auch wurde ihr die Regentschaft
Hanaus während der Minderjährigkeit ihres
ältesten Sohnes Wilhelm, dem diese Grafschaft
mit Uebergehung des Vaters zugetheilt wurde,
nach dem am 1. Februar 1760 erfolgten Tod
Wilhelms VIII., übertragen. Da aber Hanau
bis gegen das Ende des siebenjährigen Kriegs
von den Franzosen besetzt blieb, konnte sie erst
am 11. März 1763 dort ihren Einzug halten.
Bis dahin mußte sich ihre Thätigkeit auf ihr
Bemühen beschränken, dem vom Feinde besetzten
Lande möglichst Erleichterung zu verschaffen.
Die Aufgabe ihres Lebens wurde nun die Er
ziehung ihrer Kinder, die ihr aber dadurch er
schwert wurde, daß man deren Entfernung aus
Kassel, um sie vor den Bekehrungsversuchen ihres
Vaters sicher zu stellen, für erforderlich hielt.
Zu ihrem Aufenthalt wurde Göttingen, die
Universitätsstadt im Lande des Vaters Marias
gewählt, wohin sie am 19. Dezember 1754 ab
reisten.
Als Gouverneure wurden ihnen Oberstallmeister
und Oberkammerherr von Wittorf und Geh.
Legationsrath de Severy und als Lehrer Professor
Causid aus Kassel und Stupanus aus Lausanne
beigegeben.
Da man nach dem Ausbruch des sieben
jährigen Krieges Göttingen nicht mehr für sie
genügend sicher hielt, wurde im Jahre 1756
Kopenhagen zu ihrem Aufenthalt bestimmt. Die
Lieblingsschwester Marias war die Gemahlin des
dänischen Königs Friedrich V. gewesen, und deren
Kinder, von denen die zweite Tochter Wilhelmine
Karoline bereits dem Prinzen Wilhelm zur
Gemahlin bestimmt war, standen mit den Prinzen
in ziemlich gleichem Alter. Wittorf legte seine
Stelle nieder, für Severy trat Major Koeller
ein und an die Stelle des mit Tod ab
gegangenen Stupanus Christoph Bernhard
Ledderhose.
Die Thätigkeit der Mutter in der Erziehung
ihrer Söhne mußte sich daher, abgesehen von
einigen wenigen Besuchen bei ihnen, auf Briefe
beschränken. Sie schrieb an jedem Posttage
(zweimal die Woche) und verlangte ebenso oft
Antwort.
Diese in englischer Sprache geschriebenen Briefe
sind uns erhalten geblieben und befinden sich
dermalen in Kassel in Privatbesitz. Sie zeigen
uns die unendliche Liebe und Sorgfalt, mit der
die Mutter ihre Pflichten erfüllt hat. Karl
Bernhardt hat einige derselben in der Vorrede
zu den von ihm herausgegebenen Denkwürdig
keiten des Landgrafen Karl veröffentlicht und
sagt darüber: „Es wird schwer sein, ein Beispiel
aufzufinden, daß eine Mutter auf ihre Kinder,
die sie täglich um sich sieht, einen so entschiedenen
und so wohlthätigen Einfluß ausübt, wie Maria
in dieser Entfernung von vielen hundert Stunden.
Es gelang ihr dadurch, die Herzen ihrer Kinder
unwiderstehlich an sich zu fesseln und sich deren
wahre Verehrung bis zu ihrem letzten Athem
zug zu erhalten. Insbesondere beweist der Brief
wechsel mit Wilhelm, daß sie die möglichst voll
kommene Ausbildung des künftigen Landesherrn,
sowohl, was das Herz, als was den Verstand
betrifft, sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte,
und man kann nur darüber in Zweifel sein, ob
man ihren Scharfblick, ihre pädagogische Einsicht
und die Festigkeit ihrer Leitung mehr bewundern
soll oder ihrb zärtliche Liebe, ihre treue Hin
gebung an ihre Mutterpflichten."
Sie fand dafür bei ihren Kindern auch die
größte Verehrung und Anerkennung. Landgraf
Karl sagt in seinen Denkwürdigkeiten: „Wir
kamen unter die Vormundschaft unserer Mutter,
welche die Zierde und, ich wage es zu behaupten,
die Vollkommenste ihres Geschlechts war", und
als er in späteren Jahren seine Mutter einmal
in Hanau besucht hatte: „Ich fühlte mich sehr
glücklich, wieder einmal bei meiner Mutter zu
sein. Ihr verdanke ich Alles. Ihren Rath
schlägen verdanke ich meine wahre Erziehung
und meinen Geschmack am Studium, sie flößte
mir Geschmack am Lesen ein, ohne mir Zwang
anzuthun. Sie war wirklich gelehrt, ohne es
scheinen zu wollen." An einer anderen Stelle
schreibt er: „Der Pedantismus und die plumpe
Schmeichelei und die Grundsätze des Stolzes, die
zu jener Zeit an deutschen Höfen und in den
adeligen Kreisen herkömmlich waren, gelangten
weder zu unserem Ohr, noch zu unserem Herzen.
Unser Hofmeister Severy sagte uns oft, wenn er
hochfahrende Gesinnungen bei uns bemerkte:
.„Bildet Euch nichts darauf ein, daß Ihr Prinzen
seid, denkt daran, daß Ihr aus demselben Stoffe
seid, wie alle übrigen Menschen und daß nur
das Verdienst den Werth des Menschen bestimmt'."
Die Liebe ihrer Kinder war denn auch die
größte Freude ihrer Mutter. An Wilhelm schrieb
sie einmal nach Göttingen: „Mein liebster Bylly.