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Ich hab' mein Sach' auf Schein gestellt
Und im Theater mich geborgen;
Weltbühne oder Bühnenwelt,
In beiden gibt's genug zu sorgen.
Allein was wir an Glück erreicht,
Vor vielen Andren auserkoren,
Wir gäben's hin, wie leicht, wie leicht
— Nicht wahr? — für das, was wir verloren!
Unsterblichkeit ein ganzes Jahr-
Für einen Deiner „grünen" Tage;
Den Jubelkranz im grauen Haar-
Für meine „Nacht" voll Kampf und Plage!
Doch nicht mit einem Klageton
Will ich in Deine Feier treten.
Das Herz, nicht Brockhaus' Lexikon,
Bestimmt das Alter der Poeten.
Wir Alten sind auch gar nicht alt,
Verglichen mit den heut'gen Jungen,
Die, außen klug und innen kalt,
Ganz anders zwitschern, als wir sungen.
Noch schlagen unsre Pulse warm,
Noch geh'n wir aufrecht, ohne Wanken,
Und fordern, Beide Arm in Arm,
Ein neu' Jahrhundert in die Schranken! —
Eine größere Dichtung Dingelstedr's war für Liszt
bestimmt. Es ist der Oratorientext zum „heiligen
Stanislaus". Mit solchem Ernst und Eifer ging
er an die Arbeit, daß es diesmal nicht ein Fragment,
sondern wirklich ein bis auf die letzte Feile voll
ständiges Werk ist, welches sich in seinem Nachlasse
findet. Aber kein guter Stern stand über dem Unter
nehmen. Das Manuskript ward ihm aus Rom zu
rückgeschickt „als den Zwecken Liszt's nicht entsprechend",
und die Umhüllung, in der es jetzt ruhte, trägt, von
des Dichters Hand geschrieben, die Worte: „Reliquien
des hl. Stanislaus R. i. p * Julius Rodenberg
schildert uns die Dichtung und bemerkt dazu, daß der
Gegenstand an sich nicht frei von Bedenken sei und
daß die vorliegende Fassung desselben den Gedanken
einer Aufführung in geheiligten Räumen völlig aus
schließe. Für die Formgewandtheit aber und die
gute Latinität Dingelstedt's sprechen u. a. auch ein
„Chor der Wallfahrer", dessen Text er, um im Ge
dicht keine Lücke zu lassen und das Metrum anzu
deuten, einstweilen selbst erfunden, demnächst aber
durch eine der wirklichen Liturgie entnommene Hymne
zu ersetzen bittet:
Qui per tenebras migramus,
Ubi tandem salvi stamus,
Dabit nobis Dominus.
Ecce verae via lucis,
Ecce via verae crucis,
In qua tu, o Christe, ducis
Filios tuos coelibus. —
War es Dingelstedt nicht beschieden, seine Lauf
bahn mit einer Dichtung im großen Stile, wie er
beabsichtigte, symphonisch abzuschließen, so verdanken
wir doch seiner letzten Wiener Zeit eine Reihe der
vortrefflichsten kleineren Prosaschriften, vorwiegend
ästhetisch-kritischen Inhaltes, alle von dem feinen Geist
beseelt, der sich immer noch am glücklichsten in der
Antithese, dem Epigramme, ausdrückt, und immer
noch das scharf Pointirte mit dem poetischen Sentiment
zu verbinden weiß. Von dieser Art sind das „Literarische
Bilderbuch", die „Faust-Trilogie" und die „Münchener-
Bilderbogen" — letztere ein Stück seiner Selbst
biographie, doch auch diese, sein literarisches Ver-
mächtniß, wie so Vieles in Dingelstedt's Leben, ja
das Meiste, nur — Fragment.
Mußte der Dichter, dem vierzig Jahre früher, bei
seinem ersten Auftreten, alle Herzen zuflogen, damit
enden? Mußte sein ganzes Dichten ein Bruchstück
bleiben, die Verheißung nach etwas Höherem, Größerem,
die sich nicht erfüllt? Fragt mit Recht der Verfasser.
In seinen besten Jahren, dichterisch genommen, hat
ihn nur die Heimath gesehen^ in den hessischen
Gauen hat sich sein Andenken am reinsten erhalten;
wenn es einen Namen gibt, der in jenen kleinen
malerischen Städten, an den Ufern der Weser und
der Fulda noch immer mit der gleichen Anhänglich
keit genannt wird, so ist es der Franz Dingelstedt's.
Am 15. Mai 1881 starb Franz Dingelstedt. In
dem künstlerisch reich geschmückten Stiegenhause des
neuen Burgtheaters, neben den drei anderen, deren
Andenken mit der Geschichte dieses hochberühmten
Instituts unzertrennlich verknüpft sind: v. Sonnenfels,
Schreyvogel und Laube, steht zwischen goldumrankten
Säulen in einer Nische das Marmorbild Dingel
stedt's, in genialisch weltmännischer Gestalt, den
Mantel zurückgeschlagen, in der Rechten eine Rolle
haltend — hoch und imposant, überlebensgroß.
„Und doch wüßt' ich ein Denkmal, bescheidener
zwar als dieses, allabendlich von Tausenden gesehen,
die den großen Bühnenleiter wohl, aber nicht den
Menschen, nicht den Dichter kannten", schließt Julius
Rodenberg in liebevoller Pietät seinen vortrefflichen
Essay — „ein Denkmal in der Heimath, das nur
diejenigen zu betrachten kommen würden, die ihn
wirklich geliebt haben und niemals vergessen werden
— eine Gedenktafel an dem kleinen Hause in der
Ritterstraße zu Rinteln, mit nichts als den Worten:
In diesem Hause
verlebte seine Kindheit und Jugend
Franz Dingelstedt,
geb. 30. Juni 1814 zu Halsdorf in Oberhessen,
gest. 15. Mai 1881 zu Wien."
Für die Verehrer Franz Dingelstedt's wird es von
Interesse sein zu erfahren, daß unser hochgeschätzter
Landsmann Dr. Julius Rodenberg, jetzt nach voll
endetem Abdruck seines Essays, auch eine Bücher
ausgabe seiner „Mütter aus dem Nachlasse Franz