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im nächsten Winter (1798/99) wiederholt und
inzwischen fanden sich dann und wann noch
andere Gelegenheiten, sich zu sehen. Fenster
paraden vor dem Hause, das Sie umschloß,
gehörten zur Tagesordnung, meldet Er, dabei
behauptet er „mein Herz war nicht ernstlich
beunruhigt"! Es war das Idyll zweier jungen
Menschenkinder, welche Wohlgefallen an ein
ander haben, alle ihre Handlungen danach ein
richten, ohne von dem zu reden, was sie doch
erfüllte, und in dem naiven Glauben, daß alle
Anderen nichts davon sähen. Er nennt es
„sonderbaren Zufall, der Ihr regelmäßig die
Nummer in die Hände spielte, welche sie zu
meiner Partnerin machte" und als endlich ihm
doch zu Ohren drang, was die anderen flüsterten,
hielt er es für seine Pflicht, seine Aufmerksam
keiten zu beschränken. Dieser großartige Borsatz
wurde derart verwirklicht, daß Albrecht, nach
dem er die erste Hälfte eines Abends einer
anderen Dame gehuldigt hatte, den Rest der
kleinen Westphalin widmete. Auch ohne seine
ausdrückliche Meldung, in dieser Zeit sei Schiller
sein Lieblingsdichter gewesen, ist dieses glaubhaft.
Der Sommer von 1799 hatte durch die ernste
Krankheit, des Vetters Tod, seinen Gedanken
eine andere Richtung gegeben, selten nur sah
er die junge Dame; da erfährt er Ende August's,
daß sie in die Heimath zurückkehren wird, vorbei
ist es mit Besonnenheit und Ueberlegung. Er
schreibt an das Fräulein und sendet den Brief
an sie ab. Alsbald kommt ihm das Bewußt
sein eine Thorheit begangen zu haben, doch war
sie geschehen und es sollte noch besser kommen.
Sie sollte Morgens 4 Uhr in Begleitung einer
älteren Dame abreisen; wer wird etwas dabei
finden, daß Albrecht bereit stand, sie noch ein
mal unbemerkt von fern zu erblicken! Als dies
geschehen und der Wagen sie entführte, zog es
ihn nach. Ein Pferd war rasch beschafft, in
scharfem Gange eilte er zum Thore hinaus, holte
eine Stunde von Kassel den Wagen ein, aber
nun fehlte der Entschluß vorbeizureiten und
einen Abschiedsgruß anzubringen; ebensowenig
konnte er sich zur Umkehr entschließen. So er
reichte er spät Abends Lichtenau hinter Marburg,
wo die Damen im Posthause übernachten mußten.
Im Gastzimmer trafen sie sich und der verwirrte
Liebende äußerte sogar Verwunderung, die Damen
hier zu sehen, welche nur mit Mühe das Lachen
unterdrückten. Am anderen Morgen verab
schiedete er sich und legte den Heimweg unter
Selbstvorwürfen zurück.
Im nächsten Winter hielt er sich von der
Geselligkeit entfernt, er sagt „meine Freuden
außerhalb der vier Wände beschränkten sich auf
den Besuch des Kasinos, des Theaters und des
Bassins in der Aue zum Schlittschuhlaufen",
dessen erfrischendes Frohgefühl durch Klopstock
und Goethe verherrlicht worden war. Der
Dienst und die Arbeit an seiner eigenen Aus
bildung füllten die Zeit des jungen Offiziers
aus, im Herzensgründe wohnte ihm ein liebes
Bild und hielt ihn von Zerstreuungen ab, wie
sie sonst seiner Jugend angemessen gewesen sein
würden.
Ein Urlaub im Sommer des Jahres 1800
führte ihn, von einem preußischen Kameraden
eingeladen, nach Bielefeld; hier traf er im Hause
des Majors von Ingersleben Fräulein von
Dolffs, die Ueberraschung und Verlegenheit bei
dem Wiedersehen wichen bald den trauten Hoch
gefühlen des Wiederfindend, beide jungen Herzen
gaben sich ihnen unbefangen hin. Nicht so zart
sinnig faßte die Welt das Verhältniß auf,
Ingersleben fand sich bewogen, in väterlicher
Weise den jungen Kameraden aufzuklären, der
kältende Thau seiner Worte schreckte das Herz
Albrechts wohl aus dem berückenden Traume
auf, — aber die Zerstörung des Traumzustandes
führte zur schöneren Wirklichkeit; die Geliebte
flüsterte auf Albrechts Frage leise „wenn meine
Mutter einwilligt!" Diese Einwilligung zu er
ringen , ritt der liebende Held im höchsten kriege
rischen Schmucke der schönen reichen Garde
uniform in der Frühe des folgenden Tages ans,
nach Sessendorf bei Soest, wo die Hüterin seines
Schatzes lebte. Dem frischen Angriffe folgte
nicht alsbaldige Uebergabe, allein der Sturm
war auch nicht abgeschlagen; bei einem Besuche
der Familie im Spätsommer von 1800 in Kassel
sprach Frau von Dolffs ihre Einwilligung aus.
Oesters ritt er von Kassel nach Soest und da
zu jener Zeit Urlaub höchst schwierig zu erhalten
war, ging der junge Offizier ohne Urlaub „auf
Puff" fort, wobei allerdings sein ihm wohl
gewogener Kapitain stets in Kenntniß gesetzt
wurde. *) „Die Glossen meiner Freunde nahm
ich achselzuckend hin, weil ich glaubte, daß die
armen Erdenwürmer mich in den lichten Sphären,
zu denen ich mich aufgeschwungen, nicht erreichen
könnten" bemerkt er aus seinem Liebesfrühling.
Ein greller Mißton schreckte ihn aus seinen
„lichten Sphären" hinab in die ernste Wirklich
keit des Daseins, als im Jahre 1801 sein Vater
*) Der Dienst nahm die Offiziere nicht viel in Anspruch,
es wäre daher wohl angängig gewesen, denselben dann
und wann einen Urlaub zu ertheilen, zumal in besonderen
Verhältnissen wie hier vorlagen. Allein die Form hatte
das Wesen überwuchert und die Offiziere hielt man für
unentbehrlich, obwohl nur 30 Mann per Kompagnie im
Dienste waren. Da fand man den Ausweg, ohne Urlaub
sich zu entfernen, wobei die Vorgesetzten ein Auge zu
drücken mußten. Bis zum Zahre 1866 wurde dieselbe
Sache mit der Bezeichnung „auf Puff gehen" belegt.