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So lag ich oft im stillen Thal
In Phantasien tief versunken.
Bis daß der Sonne letzter Strahl
Blitzt durch's Gezweig wie lichte Funken.
Wenn kaum der erste Frühlingshauch
Zog über Thäler, über Höhen,
Dann rief schon der Wachholderstrauch:
Willst, Schwester, du nicht auferstehen?
Dann war die Birke schnell bereit,
(Die Eiche schlummerte noch lange)
Und schmückt ihr silbergraucs Kleid
Mit einem grünen Ueberhange" u. s. w.
Nur wenig kann ich über Weintrauts äußeren
Lebensgang berichten. Er verheirathete sich als
Fünfundzwanzigjähriger 1823 mit Margarethe
Kolbe, die aus Weidenhausen stammte, wie der
Dichter selbst. Weintrauts Ehe war eine sehr
glückliche und kinderreiche. Mehrere Söhne
wuchsen dem Dater heran, die das Gewerbe,
welches der letztere in der zweiten Hälfte seines
Lebens nicht mehr betrieb, wieder aufnahmen
und Lohgerber wurden. Am 8. Juli 1870, also
kurz vor Beginn des deutsch-französichen Feld
zuges ist Weintraut glaubensfreudig gestorben.
Leider hat er also die große weltumgestaltende
Epoche nicht mehr erlebt, die auch seiner in
Liedern oft geäußerten Sehnsucht nach einem
einigen deutschen Vaterlande Erfüllung gebracht
hätte.
Auf dem kleinen Weidenhänser Friedhofe,
unfern des alten Kirchleins und im Angesicht
der Berge, die er so oft bestiegen und besungen,
hat der schlichte Volksdichter seine letzte Ruhe
stätte gefunden. Die Vaterstadt ehrte bis jetzt
sein Andenken dadurch, daß sie einer Eiche auf
einer Anhöhe unweit Weidenhausen, wo der
Dichter oft im Leben die herrliche Aussicht auf
die Stadt und die jenseitigen Höhen'genoß, den
Namen „Weintrautseiche" gab. Da es für das
werdende Geschlecht nichts Anregenderes geben
dürfte, als die Erinnerung an solche volks-
thümliche Personen, die bei aller Schlichtheit
des Wesens ihre natürlichen Anlagen mit eisernem
Fleiß bis zu schöner Höhe ausbildeten, so findet
man vielleicht auch noch die Gelegenheit, in
irgend einer Weise augenfälliger die Verdienste
des begabten Volkssüngers den Marburgern,
besonders aber der Jugend in's Gedächtniß zu
rufen.
Ein schönes Denkmal für Weintraut wäre eine
neue ausgewählte Ausgabe seiner Gedichte, der
die Biographie des Dichters nicht fehlen dürfte.
Eine solche könnte sich zugleich zu einem kulturellen
Bilde hessischen Bürgerlebens von dem Beginne -
des Jahrhunderts bis zur Gründung des deutschen
Reiches ausgestalten lassen.
Meine Absicht war es nicht, das Bild des
Dichters in ganzer Figur zu malen, ich wollte
nur eine flüchtige Bleistiftskizze seiner Dichter
physiognomie geben. Was ich hier geboten habe,
könnte also nur von einem Kundigeren verwendet
werden, der Weintrauts ganzes Leben mit seinen
sonnigen und düsteren Wegen, mit allen Käfern
und Spinnen und den Mäusen im Grunde
überschaut. Ich bin nur der Lerche gefolgt, die
über seinem Acker singend gen Himmel stieg '
und habe versucht, das Echo derselben in anderen
Gemüthern zu schildern. Daß ich dabei den
Erinnerungsmalen meiner eignen Kindheit und
ersten Jugendzeit nachgehen mußte, ist selbst
verständlich, weil ich dem Dichter nicht nahe
stand und sein Bild nur nach den Eindrücken
schildern konnte, die sein Leben und Streben
auf mich und Andere machte. Wenn ich also
in dieser Skizze oft von mir selbst sprach, so
geschah es nur, um die Erinnerung an eine
markvolle volkstümliche Persönlichkeit Marburgs
wieder aufzufrischen und mir die Berechtigung
zu erwerben, diesen Jmmortellenkranz auf das
Grab des Volkssängers niederzulegen.
Mittekind
Brausend durch des Osning's Wälder
Zieht der Sturm und beugt die Eichen,
Sachsenlandes Riesensöhne,
Daß sie sich zur Erde neigen.
Reitet mit dem wilden Heere
Wuodan durch die dunklen Lüfte,
Hetzt der Alte mit der Meute
Durch des Wald's geheime Klüfte?
d der Köhler.
Tief versteckt an stillem Orte,
Heimlich in der Wälder Mitte,
Liegt den Felsenquell zur Seite
Eines Köhlers kleine Hütte.
Lauschend auf des Waldes Stimme
Bei des Kieuspan's matter Flamme
Schnitzt den Jagdspeer sich der Alte
Aus der Esche schlankem Stamme.
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