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Erzeugnissen der Gartenkultur und Nachmittags
erfreute man sich an dem Zuströmen der Frem
den , die in allerhand, in fast ununterbrochener
Reihe sich folgenden Wagen, Extrapostchaisen, Lohn
kutschen, Leiterwagen, vom Leipziger Thore her in
die Stadt einfuhren. Viele Hunderte Göttinger
Studenten zogen zu Wagen, zu Pferd oderauch
zu Fuß vorüber und ließen da häufig schon
ihrem Uebermuth die Zügel schießen. Dieser
Belebung des Platzes und seinem Handelsverkehr
hat in den vierziger Jahren die Anlegung der
Eisenbahn im Westende der Stadt und ihre
Ausbreitung, vornehmlich nach dieser Richtung
hin, ein Ende gemacht. Seit dem Jahre 1828
ist die Einwohnerzahl von 25,763 auf jetzt
70,000 gestiegen. Wie sehr der Marktplatz
seitdem seine Bedeutung als Hauptsitz des Han
dels verloren hat, ergiebt sich schon aus einer
Vergleichung der jetzt dort vorhandenen Läden
in ihrer einfach gebliebenen Einrichtung mit der an
Zahl und Eleganz immer mehr steigenden im oberen
und westlichen Theil der Stadt. In den zwan
ziger Jahren war die Stadt im Westen noch vom
Todtenthor an bis zum Königsthor von der
Stadtmauer begrenzt und befand sich außer
halb derselben nur eine kleine Anzahl Häuser.
Diese Mauer hatte nur zwei Ausgänge, den einen
am Ende der Kölnischen Allee, welche sich bis zu
den jetzt hier befindlichen Häusern Nr. 2 und
4, bis zum Eingang der Mauerstraße, wo sich das
Wachthaus befand, erstreckte, und den anderen noth-
dürftigen Ausgang hatte Wilhelm II. dadurch her
gestellt, daß er am Ende der Wilhelmsstraße
bei der Garde-du-Corps-Kaserne im Frühjahr
1826 ein Loch, welches mit einer Thür versehen
wurde, in die Stadtmauer brechen ließ.
In der oberen Königsstraße, einschließlich des
Königsplatzes, befanden sich damals nur zwei Läden,
der eines Spiegel- und Glaswaarengeschäfts dem
Theater gegenüber und der Kümmel'sche Specerei-
waarenladen an derselben Stelle, wo er sich jetzt
noch befindet. Auf der Oberneustadt war über
haupt kein Ladengeschäft von irgend welcher Be
deutung. Die Verlegung der Geschäfte aus der
Unterstadt in diesen Stadttheil war bis zur
immer weiteren Ausbreitung der Stadt nach
Westen anfangs eine sehr geringe, zumal ein
derartiger Versuch zweier Kaufleute sehr zu ihrem
Nachtheil ausgefallen war.
Seit den 60 Jahren ist die Stadt Kassel nicht
nur in Beziehung auf Handel und Verkehr
eine ganz andere geworden. Otto Bähr
giebt in seinem Buche „Eine Stadt vor 60
Jahren", vortreffliche Auskunft darüber,' in
welchem Maße sich hier wie überall im deutschen
Reich ein gänzlicher Umschwung in.allen wirt
schaftlichen und socialen Verhältnissen vollzogen
hat, während diese Skizze nur die seitdem ein
getretene Veränderung auf einem bestimmten
Platze und in begrenzter Richtung zum Gegen
stand hatte.
Mphistopheles und Hrelchm.
Ein Maskenscherz.
Von m. Herbert.
(Schluß.)
Endlich rollen vor den großen Spiegelscheiben
die Schaltern rasselnd nieder — der Laden wird
geschlossen — und Louis Wassermann darf in
das rothe habit fahren, einmal im Leben
ein Teufel sein und den ersten Maskenball mit
machen.
Bis jetzt ist er wenig genug in seine Rolle
eingelebt — er hat eine dunkele Erinnerung an
eine Osteraufführung von Goethes Faust, in
welcher ein höchst widerwärtiger, hinkender
Mephistopheles vorkommt, allein im Ganzen ist
ihm glücklicherweise der Charakter der Rolle recht
fremd. Seine Gedanken sind zu sehr von dem
Margueritenanzug in Anspruch genommen.
Heimlich hat er aus dem Pappkasten Nr. 4, aus
welchem Gräfin S. die Blumen bezog, eine ge
stohlen. Unschuldig und verwundert guckt sie aus
dem Knopfloch des rothen, gedruckten Kattun
dominos.
In fremder Herrlichkeit strahlen heute Abend
die schon etwas verbrauchten, wohlbekannten Räume
des Königlichen Schauspielhauses. Orchester und
Parterre sind mit der Bühne gleich gemacht
worden, um einen einzigen großen Saal zu er
zielen. An den Portalen stehen stilvoll gekleidete
Hellebardiere und üppigePflanzengruppen, ragende
Palmenwedel schmücken die Aufgänge zur Fürsten
loge, von wo aus das bunte Völkchen der Schau
spieler, das heute Abend eine große Rolle spielt,
das Publikum durch seine tollen, übermüthigen