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Kreise der ©einigen unb ihm näher Stehender
trng Bardeleben sein otium cum dignitate.
Diese Zeit der Freiheit war ihm nicht die
Gelegenheit, zn rnhen unb zn genießen — sein
reger Geist, seine warme Theilnahme an allen
Erscheinnngen im Leben der menschlichen Gesell
schaft sahen die verstattete Muße als einen
Fingerzeig an, in seinen Kenntnissen manches
nachzuholen, was in der Jugend, wie später
im stürmischen Kriegerleben versäumt worden
war. Er trieb Studien militärischer und
allgemein wissenschaftlicher Art, wir dürfen die
Jahre 1819 und 1820 als besonders bedeutsam
für die Vollendung des Charakters und Wesens
unseres Freundes ansehen; ans der Stille eines
Landstädtchens blickte er in das Getriebe der
großen Welt, welche sich neu einzurichten strebte,
ein hochinteressantes Schauspiel für ihn. Er
lebte ans einem Boden, welcher seit zwei Jahr
hunderten preußisch war und wo er sich selbst
heimisch fühlte; wir wissen, wie sehr er sein
hessisches Vaterland liebte, so konnte er frohen
Muthes in die Zukunft blicken, von welcher er
für Hessen durch den Kurprinzen Wilhelm die
Entwickelung znm Bessern hoffen mußte.
Diese Zukunft brach an, als Kurfürst Wilhelm I.
in der Frühe des 27. Februars 1821 die
Angen schloß.
(Fortsetzung folgt.)
Erinnerungen an den Uarburger Wolksöichler
Hielrich Weinlraul.
Von <B. Mentzel.
(Fortsetzung.)
Nicht alle lyrischen Gedichte Dietrich Wein-
trants stehen auf gleicher Höhe, manche tragen
das Gepräge flüchtigen Entstehens, andere
sind nicht vollendet genug in der Form,
aber gerade die schönsten, zn denen ich auch das
Gedicht „Mein Vaterhaus"*) zähle, sind wie ans
einem Guß und machen einen durchaus har
monischen Eindruck. Man merkt, daß diese
Lieder aus der Seele geflossen sind, wie frisches
*) Das Gedicht ist enthalten in „Erinnerungen an
Marburg und seine Umgebung". (Marburg bei Joh. Aug.
Koch 1857.) Dies Büchlein enthält 18 Gesänge, die sich
an Marburgs denkwürdigste Gebäude und an einige be
rühmte Orte in der Nähe anschließen. Weil Weintrauts
Lieder im Ganzen wenig bekannt sind, füge ich dies
Gedicht hier an.
Mein Vaterhaus.
Du kleines Haus im schönen Thal erbaut.
Nach dem mein Aug' mit hoher Wonne schaut.
Dein Giebel ist gebeugt vom Sturm der Zeit:
Dir Vaterhaus sei dieses Lied geweiht!
Das düstre Stübchen in dem Erdgeschoß,
Wo manche frohe Stunde mir verfloß,
Dies stille Stübchen, niedrig, eng und klein,
Schloß einst mein Liebstes auf der Erde ein.
Du edle Mutter, noch seh' ich dein Bild,
Dein Augenpaar, so freundlich und so mild!
Es war dein ganzes Leben ein Gebet —
Noch ist's dein Geist, der liebend mich umweht.
Es steht im Lenz der Baum so blüthenweiß,
Den ich gepflanzt als schwaches zartes Reis,
Zn seinem Schatten, anmuthsvoll und kühl,
Treibt meine Enkelschaar ihr frohes Spiel.
Quellwasser aus dem Innern der Erde und denkt
gar nicht an irgend welche Mühewaltung des
Dichters. Gerade dieser harmlose ungetrübte
Genuß ist aber das beste Zeichen ächten Kunst
werthes. Denn es ist eine alte ästhetische Regel,
daß wir ein Kunstwerk um so höher schätzen
müssen, je weniger dasselbe die mit seinem Ent
stehen und Werden verbundene Arbeit erkennen
läßt. Könnten wir an den antiken Götterge
stalten noch die Spuren des Meißels erkennen,
mit dem der Künstler den Kampf gegen den
widerspenstigen Marmor unternahm, so würden
wir nicht den Eindruck eines in freier Schönheit
dastehenden Gebildes empfangen, sondern an den
mühseligen Schaffensprozeß erinnert und um
Du schöner Bach, W um den Garten fließt,
Mein Jugendfreund, auch du sei mir gegrüßt,
Wie manchen Krebs, wie manchen zarten Fisch
Gabst du mir einst auf meinen kleinen Tisch!
Du alter Weidenbaum am Arm der Lahn,
Du bot'st mir manchen Zweig zur Flöte an,
Noch wiegst du deine Krone in dem Wind,
So groß und stark sah ich dich schon als Kind.
Doch wende ich noch einmal meinen Blick
Auf dich, du liebes Vaterhaus, zurück.
Dich drückt und beugt nun auch der Jahre Last,
Ich war in dir auf kurze Zeit nur Gast.
In deinem Flur stand schon gar mancher Sarg,
Der einen Gast aus deinen Räumen barg.
Mir wird's nicht besser wie den Vätern geh'n,
In deinem Flur wird auch mein Sarg bald steh'n! —